27-03-2024 · Einblick

Wir sind „eine große Welt auf einem kleinen Planeten“ – die Rolle der Nachhaltigkeit im Finanzwesen

Die Welt verbraucht natürliche Ressourcen und verschmutzt die Umwelt in einem Maße, das der Planet nicht mehr verkraften kann. In den Worten des preisgekrönten Klimawissenschaftlers Johan Rockström sind wir tatsächlich „eine große Welt auf einem kleinen Planeten“.1 Ein nachhaltiges Finanzwesen kann dazu beitragen, einen Weg zu einem Wirtschaftswachstum zu finden, das für heutige und künftige Generationen sozial fair und ökologisch gerecht ist.

SI Big Book 2.0 von Robeco

    Autoren/Autorinnen

  • Masja Zandbergen-Albers - Head of Sustainability Integration

    Masja Zandbergen-Albers

    Head of Sustainability Integration

Unbegrenzter Konsum, begrenzte Ressourcen

Der rasante Anstieg der Industrialisierung, des materiellen Wohlstands und des Konsums hat uns blind gemacht für die Tatsache, dass wir in einer Welt mit gemeinsamen und endlichen Ressourcen leben. Die Tragödie des Allgemeinguts ist eine treffende Metapher für dieses Dilemma. Wenn Gemeingüter wie Luft, Wasser und viele andere Leistungen der Natur kostenlos zur Verfügung stehen, werden sie im Selbstinteresse ohne Rücksicht auf andere Interessengruppen (in der Gegenwart oder Zukunft) wahllos verbraucht. Da sich die Weltbevölkerung bis 2050 auf zehn Milliarden Menschen zubewegt und die Schwellenländer westliche Lebensstandards fordern, wird sich die Tragödie des Allgemeinguts noch verstärken.2

Nach Untersuchungen des Global Footprint Network wird davon ausgegangen, dass die Menschheit die natürlichen Ressourcen derzeit 1,75 Mal schneller verbraucht, als die Ökosysteme unseres Planeten sie regenerieren können.3 Das bedeutet, dass 1,75 Erden benötigt werden, um den gegenwärtigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, was eindeutig unhaltbar ist. Wenn keine Maßnahmen ergriffen werden sollten, werden bis 2050 drei Erden benötigt, um den Lebensstandard zu halten, an den wir uns gewöhnt haben.4 Die Kosten dieser globalen ökologischen Überbeanspruchung werden in Form von Entwaldung, Bodenerosion, Biodiversitätsverlust und die Anreicherung von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre ersichtlich.

Abbildung 1: Die biologische Produktivität der Erde ist seit Jahrzehnten rückläufig

Abbildung 1: Die biologische Produktivität der Erde ist seit Jahrzehnten rückläufig

Der Umweltfußabdruck und die Biokapazität der Welt von 1961 bis 2022 in globalen Hektar pro Person. Die Biokapazität bezieht sich auf die Fähigkeit der Natur, Produkte und Dienstleistungen für die menschliche Nachfrage und den menschlichen Verbrauch bereitzustellen, z. B. Nahrungsmittel, Fasern, Holz, Energieerzeugung, CO2-Abscheidung usw.

Quelle: Global Footprint Network, Initiative Überlastungstag. Earth Overshoot Day 2022 Nowcast Report.

Die Herausforderung für Unternehmen und Volkswirtschaften besteht darin, die Ressourcen der Erde effizient zu nutzen, ohne sie zu verschwenden. Dies erfordert eine Abkehr von verschwenderischen Produktions- und Verbrauchsmodellen hin zu Kreislaufmodellen, bei denen die Ressourcen recycelt, wiederverwendet und umgenutzt werden.

Abbildung 2: Wissenschaftsbasierte planetare Grenzen

Abbildung 2:  Wissenschaftsbasierte planetare Grenzen

Quelle: Robeco, Stockholm Resilience Centre, Universität Stockholm. 2015.

Planetare Grenzen

Die Ressourcenknappheit ist nur eine von mehreren Krisen, die bewältigt werden müssen, damit die Menschheit und unser Planet überleben und gedeihen können. Im Jahr 2009 stellte ein Team international renommierter Wissenschaftler das Rahmen über die planetaren Grenzen vor, das neun kritische Prozesse identifiziert, die zusammenarbeiten, um das Leben auf der Erde zu regulieren und zu stabilisieren (siehe Abbildung 2). Für jeden dieser Prozesse werden die Grenzen festgelegt, die für das Leben auf dem Planeten akzeptabel und sicher sind.

Beunruhigenderweise verdeutlichen jüngste wissenschaftliche Studien, dass der Mensch bereits bei mindestens fünf von neun dieser kritischen Erhaltungssysteme die „sichere Zone“ verlassen hat und in einen Zustand „hoher Ungewissheit und Risiken“ eingetreten ist, darunter der Klimawandel, der Biodiversitätsverlust, die lebenswichtigen Nährstoffströme, die Landnutzung und neuartige Stoffe (zu denen auch Kunststoffe gehören).5

Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen bereits, dass das Risiko einer Überschreitung dieser planetaren Grenzen für Unternehmen und Anleger groß ist. Sie werden zu einer Verknappung von Rohstoffen, zu Unterbrechungen der Lieferkette, zu veränderten Verbraucherpräferenzen, zu einer stärkeren Regulierung und ganz allgemein zu höheren Kosten führen.6

Die sozialen Kosten berücksichtigen

Nachhaltigkeit umfasst weit mehr als die Erhaltung der natürlichen Ressourcen und der ökologischen Grenzen, sie zielt auch auf den Schutz des sozialen Kapitals ab.

Die Donut-Ökonomie ist ein konzeptioneller Rahmen, der eine Möglichkeit bietet, das menschliche Element in einen Rahmen zu integrieren, der von ökologischen Messgrößen dominiert wird. Ähnlich wie die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) wird dabei anerkannt, dass die Menschen auf der Erde Zugang zu den lebensnotwendigen Dingen haben sollten, einschließlich Nahrung, Unterkunft, Bildung und Gesundheitsversorgung. Kurz gesagt, der Rahmen besagt, dass eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung die planetaren Grenzen nicht überschreiten und die Bedürfnisse und das Wohlergehen der Menschen nicht beeinträchtigen darf.7

In jüngster Zeit hat ein Team von Wissenschaftlern die sozialen Aspekte der Donut-Ökonomie mit den planetaren Grenzen kombiniert, um eine Reihe neuer planetarer Belastbarkeitsgrenzen zu konstruieren.8 Damit soll der Schaden minimiert werden, der durch Grenzüberschreitungen für die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden entsteht, und es sollen Aspekte in Bezug auf Fairness und Gerechtigkeit berücksichtigt werden. In einem Bericht aus dem Jahr 2023 zeigt die Gruppe auf, dass zahlreiche Grenzen bereits überschritten sind, wenn neben der Gesundheit des Planeten auch das menschliche Wohlbefinden und die soziale Gerechtigkeit berücksichtigt werden.9

Finanzwesen kann eine Schlüsselrolle einnehmen

Direkte staatliche Maßnahmen können zwar dazu beitragen, dass der wirtschaftliche Wohlstand von Dauer ist, aber auch die nachhaltige Finanzierung spielt eine wichtige Rolle. Sie kann dazu beitragen, dass das Finanzkapital effizient an Unternehmen verteilt wird, die Produkte auf nachhaltige Weise herstellen. Anleger können ESG-Scores nutzen, um Unternehmen nach einer ganzen Reihe von Nachhaltigkeitsfaktoren zu bewerten – von Wasserqualität, Abfallmanagement und CO2-Emissionen bis hin zu eher sozialen Faktoren wie Vielfalt in der Unternehmensleitung, Talentbindung und Personalsicherheit – die sich alle auf die Wettbewerbsposition und die langfristige finanzielle Performance eines Unternehmens auswirken können (finanzielle Wesentlichkeit).

Neben der Bewertung finanziell wesentlicher Aspekte, um fundiertere Anlageentscheidungen treffen zu können, wenden die Aufsichtsbehörden jetzt das Prinzip der „doppelten Wesentlichkeit“ an, um die Nachhaltigkeit eines Unternehmens zu messen. Die doppelte Wesentlichkeit erweitert den wesentlichen Geltungsbereich der Nachhaltigkeit um die Auswirkungen der Produkte/Dienstleistungen eines Unternehmens auf die Gesellschaft und die Umwelt (Umwelt- und soziale Wesentlichkeit). Die Messung der Umwelt- und sozialen Wesentlichkeit ist von entscheidender Bedeutung, da sie die externen Kosten der Verschmutzung und Erschöpfung von Gemeingütern berücksichtigt.

Das Konzept der doppelten Wesentlichkeit zur Messung der Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Finanzen ist das Herzstück des Plans für nachhaltige Finanzen der EU. Sie ist auch von zentraler Bedeutung für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und der Klimaziele des Übereinkommens von Paris.

Abbildung 3: Die zwei Gesichter der Wesentlichkeit

Abbildung 3: Die zwei Gesichter der Wesentlichkeit

Quelle: Robeco, 2023.

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Fazit

Die Tragödie des Allgemeinguts wäre gelöst, wenn die Unternehmen beginnen würden, die vollen Kosten, die ihre Tätigkeiten und Lieferketten für die Gesellschaft und die Umwelt verursachen, finanziell zu internalisieren. Obwohl konzeptionelle Rahmen wie die Donut-Ökonomie und die planetaren Grenzen hilfreich sind, um das Problem zu umreißen, fehlt es leider immer noch an funktionalen Instrumenten, die Anlegern dabei helfen, externe Kosten in ihren Anlage-Research und Bewertungsmodellen praktisch zu berücksichtigen.

Da es schwierig ist, Dingen wie Menschenleben oder dem Zugang zu sauberem Wasser einen monetären Wert zuzuordnen, wird die konsequente Anwendung der Nachhaltigkeit auf Branchen, Unternehmen und Investitionen in den kommenden Jahren eine heikle Herausforderung sein.

SI Big Book 2.0 von Robeco