01-12-2021 · Interview

Talk ’22: „Wir halten nach verborgenen Perlen Ausschau anstatt den üblichen Verdächtigen zu folgen“

Aktien aus den Emerging Markets können Titel aus entwickelten Ländern einholen, wenn die Programme der Notenbanken zur quantitativen Lockerung auslaufen, sagt Wim-Hein Pals. In unserer Interviewserie zum „2022 Outlook“ beantworten Experten von Robeco fünf Fragen zu ihren Anlagesegmenten.

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  • Wim-Hein Pals - Head of Emerging Markets team

    Wim-Hein Pals

    Head of Emerging Markets team

Talk ’22: „Wir halten nach verborgenen Perlen Ausschau anstatt den üblichen Verdächtigen zu folgen“

Was ist das Wichtigste, auf das man 2022 achten muss?

„Nach der extrem lockeren Geldpolitik in den entwickelten Ländern wird das nächste Jahr anders werden. Das Wichtigste, auf das 2022 zu achten ist, werden die Leitzinsanhebungen durch die US-Notenbank sein, die in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 erfolgen könnten. Nach dem Auslaufen der Programme zur quantitativen Lockerung wird in den USA höchstwahrscheinlich ein neuer Zinsanhebungszyklus beginnen. Ein durch robustes Wirtschaftswachstum ausgelöster Zinsanhebungszyklus ist typischerweise ein gutes Signal für Aktien aus Schwellenländern. Die beschleunigte Inflation sollte, wie viele Beobachter – einschließlich der US-Notenbank – prognostizieren, vorübergehender Natur sein.“

„Eine wachstumsbasierte Phase strafferer Geldpolitik begünstigt typischerweise Assetklassen mit „Value“-Charakteristik und auch Value-Aktien. Demnach könnten die Börsen der Schwellenländer nach einer Phase der Underperformance gegenüber den Aktienmärkten in entwickelten Staaten diese zu übertreffen beginnen. In den letzten Jahren litten die Aktienkurse in den Emerging Markets unter einer Vielzahl schlechter Nachrichten. Dagegen sorgten in den entwickelten Ländern gute Nachrichten laufend für immer neue Allzeithochs an den Börsen. Positiv aufgenommen wurden die Wiederöffnung der Volkswirtschaften nach der Coronavirus-Pandemie sowie eine sehr gute Gewinnentwicklung sowohl in den entwickelten als auch den aufstrebenden Ländern. Dennoch haben die Börsen in den Emerging Markets im bisherigen Verlauf des Jahres 2021 seitwärts tendiert. Infolge dieser Herabstufung hat sich ein Kurs/Gewinn-Verhältnis im MSCI EM Index von fast 12 (bezogen auf den für 2022 erwarteten Gewinn pro Aktie) ergeben. Dagegen liegt das entsprechende KGV im MSCI World Index bei 18.“

„In den Kursen von Aktien aus Schwellenländern scheint das bevorstehende Auslaufen der Maßnahmen zur quantitativen Lockerung der Geldpolitik bereits vollständig berücksichtigt zu sein. Ein Unterschied zu dem Zeitraum der Straffung der Geldpolitik ab der zweiten Hälfte des Jahres 2013 besteht darin, dass die Schwellenländer mit der geldpolitischen Straffung vor der US-Notenbank begonnen haben. In dieser Hinsicht sind die Emerging Markets den entwickelten Staaten voraus. „In den Schwellenländern wird die Geldpolitik bereits gestrafft, während die Notenbanken der entwickelten Volkswirtschaften ihre Bilanzen nach wie vor verlängern.“

„Demnach erscheinen Aktien aus Schwellenländern auf das Auslaufen der quantitativen Lockerung in den USA vorbereitet zu sein, nachdem die Aktienrallye im Anschluss an die Pandemie in den Emerging Markets enttäuschend ausfiel. Kurz gesagt haben die Aktienmärkte in den Schwellenländern lediglich die schlechten Nachrichten in den aktuellen Kursen verarbeitet. Dagegen wurden an den Börsen der entwickelten Länder nur die guten Nachrichten berücksichtigt. Die fundamental ausgerichteten Emerging Markets-Portfolios von Robeco haben eine Value-Tendenz. Das könnte sich in doppelter Hinsicht positiv auf die Erzielung von Mehrerträgen für unsere Kunden auswirken, da hiermit ein Value-Fokus innerhalb einer Value-Assetklasse verbunden ist.“

Welche ist die größte Veränderung seit Beginn der Coronavirus-Krise, die aus ihrer Sicht auch im Jahr 2022 fortwirken wird?

„Seit Ausbruch der Pandemie haben sich einige Dinge geändert. So wird seltener mit dem Flugzeug oder Autos mit Verbrennungsmotoren gereist. Stattdessen wird mehr mit Fahrrädern und Elektrorollern gefahren. Mehr Leute arbeiten von zu Hause aus, sodass der Bedarf nach Büroräumen gesunken ist. Einige dieser Veränderungen werden sich für ganze Sektoren und für einzelne Aktien langfristig auswirken. Die Fluglinien könnten bei den Geschäftsreisen den Gipfel im Jahr 2019 erreicht haben. Hersteller von (Elektro-)Fahrrädern könnten sich im Jahr 2022 und darüber hinaus sehr gut entwickeln. Immer mehr Unternehmen werden ihre Reisbudgets strukturell reduzieren und ihren Mitarbeitern spezifische CO2-Ziele vorgeben.“

„Die Pandemie hat auch den Trend hin zu einem größeren Fokus auf ESG-Aspekten in allen Organisationen und Ländern beschleunigt. Die allgemeine Aufmerksamkeit für die Themen Energiewende und Klimawandel ist gewachsen und wird nicht mehr nachlassen. Im Gegenteil: „Grüne“ Wirtschaftsbereiche und nachhaltige Geschäftsmodelle werden in den kommenden Jahren prosperieren. Daher sollten zukunftsfeste Portfolios mit Ausrichtung auf Schwellenländer ein strukturelles Engagement in Solartiteln sowie in den Bereichen umweltfreundlicherer Transportmittel und Lösungen für Energiespeicher aufweisen.“

„Was durch die Pandemie und das zunehmende Bewusstsein der Menschen beschleunigt wurde, wird im Jahr 2022 weiter an Bedeutung gewinnen. Besondere Aufmerksamkeit fordern aus dem Blickwinkel eines Emerging Markets-Portfoliomanagers in dieser Hinsicht China, Südkorea und Taiwan. Der Robeco Emerging Markets Equities weist ein erhebliches Engagement in den „neuen Branchen“ und in Technologieunternehmen in Ländern wie China, Südkorea und Taiwan auf.“

„Wie bereits im Jahr 2021 wird es weltweit auch im kommenden Jahr vereinzelt neue Ausbrüche an Coronavirus-Infektionen geben. Diese werden sich aber weniger auf die Realwirtschaft und die Unternehmensgewinne auswirken. Die Störungen der Lieferketten die derzeit in Sektoren wie Halbleiter und Containerfracht zu beobachten sind, können durchaus bis in das Jahr 2022 anhalten. Von daher bleibt die Aktienauswahl entscheidend. Beispielsweise könnten sich einige der asiatischen Hardware-Hersteller im Bereich der Spitzentechnologie im Hinblick auf die Unternehmensgewinne sehr gut entwickeln.“

Wo sind Sie mit Ihrem Ansatz am meisten vom Konsens entfernt?

„Mit unseren valueorientierten Emerging Markets-Portfolios befinden wir uns bereits außerhalb des Konsenses. Die meisten unserer Mitbewerber sind im Wachstumssegment aktiv. Dazu trägt zum Teil die Popularität von Wachstumsstorys im Hinblick auf das Internet in China und den Konsum in Indien bei. Nachdem sich Wachstumssektoren und Wachstumsaktien zehn Jahre lang weit überdurchschnittlich entwickelt haben, könnte der Zeitpunkt für ein Comeback von Valueanlagen gekommen sein. Die Bewertungsdifferenz zwischen Wachstumsaktien und Valuetiteln in den Schwellenländern war in der Vergangenheit nicht so groß, wie das derzeit der Fall ist. Im laufenden Jahr waren in den Emerging Markets einige Anzeichen für eine Outperformance von Valuetiteln gegenüber Wachstumsaktien zu beobachten. Das steht aber in keinem Verhältnis zu der erheblichen Underperformance in den vorangegangenen zehn Jahren.“

„Es ist diese beträchtliche Differenz bei der Wertentwicklung und den Bewertungen, die mich für unsere fundamentale ausgerichteten Schwellenlandstrategien für das Jahr 2022 zuversichtlich stimmt. Die Bewertungslücke ist auf lange Sicht einfach nicht aufrechtzuerhalten. So oder so sollten Valuetitel in den nächsten Jahren ein dauerhafteres Comeback erleben.“

„Vielleicht wird im Jahr 2022 die künftige Führungsposition bei den Investmentstilen infrage gestellt. Nach der Wachstumsdekade von 2010-2020 hat möglicherweise eine neue „Emerging Markets“- und „Value“-Dekade begonnen, die von 2021-2031 reicht. Ich registriere, dass immer mehr Branchenexperten die Kurs/Gewinn-Verhältnisse in Bereichen wie chinesische Internetaktien, brasilianische Fintech-Werten oder indische Unternehmen aus dem Bereich Basiskonsum infrage stellen. Ich würde eher in ein Unternehmen investieren, das bei einem KGV von 10 (bezogen auf den Gewinn pro Aktie im Jahr 2021) notiert und über ein stabiles Ertragswachstum von 15 % verfügt, als in eine Firma, deren KGV bei 30 liegt und die ein potentielles Ertragswachstum von 35 % aufweist. Denn im letztgenannten Fall ist das Abwärtsrisiko weit höher, wenn die hohen Wachstumserwartungen nicht erfüllt werden. Bei teuren Aktien mit defensiver Charakteristik könnte eine Herabstufung bevorstehen.“

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Worin besteht die größte „externe“ Herausforderung oder der größte „Gamechanger“ im Jahr 2022?

„Aus meiner Sicht dürfte die größte externe Herausforderung im Jahr 2022 in der anstehenden strafferen Regulierung von Internetunternehmen in der westlichen Welt – d. h. in den USA und in Europa – sein. Auch in dieser Hinsicht sind die Schwellenländer bereits weiter als die entwickelten Staaten. Man denke an die striktere Regulierung der Bereiche Internet, E-Commerce, Bildung und Spiele in China. Unter dem übergreifenden Motto des „gemeinsamen Wohlstands“ haben die chinesischen Regulierungsbehörden bei den Unternehmen in diesen Segmenten im Jahr 2021 hart durchgegriffen. Auch in Südkorea und anderen Teilen der Emerging Markets haben die Regulierungsbehörden die Unternehmen in den Bereichen Internet, Spiele und E-Commerce ermahnt, die Rechte ihrer Kunden zu respektieren.“

„Die schädlichen monopolistischen Strukturen sind in den Emerging Markets zerschlagen worden. In einigen Fällen hatten die Unternehmen hohe Strafzahlungen zu leisten oder mussten Geld für gesellschaftlich nützliche Projekte spenden. In den wohlhabenden Volkswirtschaften ist bislang nichts Vergleichbares geschehen. Ich erwarte aber, dass die Regulierungsbehörden in den entwickelten Ländern nachziehen. Das könnte dazu führen, dass die Gewinnmargen der Unternehmen dort stärker unter Druck geraten und die Bewertungen infolgedessen zurückgehen. Unterdessen haben entsprechende Firmen aus Schwellenländern bereits im Jahr 2021 Einbußen bei ihren Gewinnen hinnehmen müssen. Von daher sollten sie relativ robust sein, was ihre Ertragsentwicklung und Aktienkurse angeht.“

Was ist Ihr persönliches Ziel oder Ihre Inspiration, die Ihnen Orientierung im Jahr 2022 gibt?

„Meine persönliche Inspiration besteht darin, den Herdentrieb zu meiden, speziell im Jahr 2022. Mit unseren valueorientierten und vorsichtig vorwärtsstrebenden Ansätzen werden wir versuchen, cleverer als die Wettbewerber zu sein, indem wir nach „verborgenen Perlen“ Ausschau halten, anstatt lediglich den „üblichen Verdächtigen“ zu folgen. Mithilfe unserer speziellen Filterinstrumente und gründlicher Fundamentalanalyse wollen wir Alpha-Chancen in „grünen“ Branchen sowie in den Bereichen finden, die den Ärmsten in den sich entwickelnden Ländern helfen. Dabei werden wir auch die Sustainable Development Goals im Blick behalten. Unternehmen, die gut geführt werden, die gut dafür positioniert sind, von den oben genannten Charakteristika zu profitieren, und die über solide Bilanzen verfügen, sollten sich in einem Umfeld weltweit nachlassender geldpolitischer Unterstützung überdurchschnittlich entwickeln, wenn sehr hohe Bewertungen zunehmend kritisch gesehen werden.“

„Persönlich bin ich kein Anhänger des derzeit populären Stagflationsszenarios. Vielmehr setze ich auf ein Szenario mit kräftigem, von den Investitionen getriebenen Wirtschaftswachstum im Anschluss an den „leichten“ Aufschwung nach dem Rückschlag in der Pandemie. Dementsprechend erwarte ich einen wachstumsbedingten Anstieg der Renditen von US-Staatsanleihen. Eine durch das Wachstum ausgelöste Versteilerung der Renditekurve ist ein gutes Vorzeichen für die Emerging Markets generell sowie für unseren valueorientierten Ansatz in Schwellenländern im besonderen. „In meinem Szenario eines soliden Wirtschaftswachstums wird eine hohe Wachstumsdynamik keine Seltenheit mehr sein. Immer mehr Anleger werden dann zweimal darüber nachdenken, bevor sie eine zu hohe Bewertungsprämie für sogenannte populäre Wachstumsunternehmen zahlen.“

Insgesamt dürfte 2022 ein weiteres besonderes Jahr für Anleger sein, das in Bezug auf die relative Wertentwicklung mit verschiedenen Gewinnern und Nachzüglern aufwarten wird. Einige der Gewinner aus den letzten Jahren dürften 2022 in Rückstand geraten, und einige der Nachzügler sollten Überflieger werden. Bei der spannenden Suche nach Rendite für unsere Kunden bleibt ein selektives Vorgehen entscheidend für den Erfolg. Das gilt sowohl für einzelne Länder, als auch für spezielle Sektoren und Einzeltitel. Ich wünsche Ihnen einen großartigen Erfolg für Ihr Portfolio im Jahr 2022.“