SI-Debatte

SI Dilemma: Ist Sustainable Investing ein Prozess oder ein Sachverhalt?

Der Bereich der nachhaltigen Geldanlage war immer von Diskussionen um Begriffe und Definitionen geprägt. Das gilt sogar für die grundlegendste und scheinbar einfachste Frage, nämlich: Was ist eine nachhaltige Anlage? Oder was ist Sustainable Investing? Ist SI ein Prozess oder ein Sachverhalt?

Autoren/Autorinnen

    Head of Sustainable Alpha Research

Zusammenfassung

  1. Die Anleger haben sich stets schwer damit getan, Sustainable Investing zu definieren
  2. Vor zehn Jahren betrachteten vielfältige Ansätze SI als einen „Prozess“
  3. Da der Fokus heute auf Eigenschaften von Unternehmen liegt, bedeutet dies, dass SI eher ein „Sachverhalt“ ist

Mehr als 50 Jahre nach der Entstehung des modernen verantwortungsbewussten Investierens sind wir diesbezüglich einem einheitlichen Verständnis nicht näher gekommen, trotz bester Bemühungen der Regulierungsbehörden. Ich kann hier keine universelle Lösung anbieten. Ich kann lediglich darauf zurückzublicken, wie wir mit dieser Herausforderung im Laufe der Jahre umgegangen sind, und daran erinnern, warum wir dies überhaupt tun.

Wenn etwas Neues entsteht, fehlt es häufig an allgemein akzeptierten Begriffen und Definitionen. Von daher ist die Debatte über Definitionen im Bereich SI recht normal. Es ist bemerkenswert, dass selbst die „einfache“ doppelte Buchführung, die erstmals im 15. Jahrhundert von dem Mathematiker Luca Bartolomeo de Pacioli konzipiert wurde, 400 Jahre brauchte, um zu den heutigen IFRS- oder GAAP-Standards zu gelangen. Und doch gibt es auch heute noch Firmen, die Bilanzen fälschen und Prüfer hinters Licht führen. Das zeigt, dass selbst eine vermeintlich einfache, stark standardisierte Finanzbuchhaltung und Rechnungsprüfung nicht alle Probleme löst.

In den ersten Jahren des verantwortungsvollen und nachhaltigen Investierens hatten die verschiedenen Branchenverbände und Social Investment Forums (SIF) eine gewisse Autorität, die Anlegern dabei half zu definieren, was SI ist. Beginnend mit dem US-amerikanischen SIF in den 1980er Jahren und mit der Entstehung anderer regionaler Branchengremien im Laufe der Zeit versuchten diese Organisationen gemeinsam, die Ideen der Vordenker im SI-Bereich zu bündeln, selbst als sich die Branche in den frühen 2000er Jahren rasant entwickelte.

SI kategorisieren

Als im Jahr 2012 die Global Sustainable Investment Alliance (GSIA) gegründet wurde, war ihr erster Bericht im Jahr 2014 eine bahnbrechende Studie über den globalen SI-Bereich. Sie brachte etwas Klarheit in das Feld, indem sie alle SI-Ansätze in eine von sieben Kategorien einordnete. Die Unterscheidung zwischen negativem Screening, normenbasiertem Screening, ESG-Integration, thematischem Investieren, Community-Investing, Active Ownership und dem Best-in-Class/Positive-Screening-Ansatz trug dazu bei, einen nachvollziehbaren Rahmen für den schnell wachsenden Markt entsprechender Fonds zu schaffen.

Es war klar, dass unterschiedliche Ansätze unterschiedliche Werte und Renditeerwartungen widerspiegeln, auch dass unterschiedliche Ansätze miteinander kombiniert werden können, um für verschiedene Anleger geeignet zu sein. In diesem Kontext war SI definitiv ein Prozess.

Sind alle Ansätze gleich?

Ein Nachteil der Definition dieser verschiedenen Ansätze war jedoch, dass dadurch Anlagestrategien legitimiert wurden, die sich mehr auf ihr Renditepotential als auf ihr Nachhaltigkeitsprofil konzentrierten. Wenn es eine so große Vielzahl an Ansätzen gab, verdienten diese alle gleichermaßen das Attribut „nachhaltig“?

Nach einigen Jahren betrachteten einige regionale SIFs Fonds, die lediglich einige grundlegende Ausschlüsse umsetzen, nicht länger als nachhaltig. Sie wollten jedoch keine höheren Standards festlegen und überließen es den Anlegern, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, obwohl immer häufiger gefordert wurde, die Auswirkungen auf die reale Welt besser zu ermitteln.

In dieser Gemengelage traten die europäischen Regulierungsbehörden auf den Plan, sorgfältig beäugt von denen in anderen Regionen. In der Folge verloren die Branchenverbände einen Teil ihrer Autorität, wenn auch nicht immer ihren Einfluss. Wenngleich die Regulierungsbehörden gute Absichten verfolgen, bleibt die Entwicklung gesetzlicher Vorgaben häufig hinter den Innovationen von Branchen zurück. Eine frühzeitige Festlegung von Regeln kann zu ungewollten Komplikationen führen, sodass selbst Vorreiter und Vordenker Schwierigkeiten haben, die Anforderungen zu entschlüsseln und gleichzeitig den Bedürfnissen ihrer Kunden gerecht zu werden.

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Wie Sustainable Investing funktioniert

Das Teilen von Best Practices

Die Branchenverbände spielen eine Rolle dabei, ihre Mitglieder bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen, das Teilen bewährter Praktiken zu fördern und den Regulierungsbehörden ihre Ansichten über die Wirksamkeit vorgeschlagener Vorschriften mitzuteilen, die auf der umfassenden Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Anlegern und Asset Managern beruhen. Sie aktualisieren auch weiterhin ihre eigenen Systematiken zur Ermittlung nachhaltiger Assets, um die neuesten Erkenntnisse zu berücksichtigen.

So änderte das US-amerikanische SIF seine methodischen Definitionen, was dazu führte, dass sich seine Schätzung des Volumens des nachhaltig verwalteten Vermögens von 17,1 Billionen USD im Jahr 2020 auf 8,4 Billionen USD im Jahr 2022 halbierte. EUROSIF erwägt ähnliche Änderungen, vor allem, weil die Integration von ESG-Aspekten immer noch ein Eckpfeiler von Sustainable Investing ist, aber jetzt nicht mehr als alleiniges Merkmal eines nachhaltigen Investments angesehen wird.

In den 2020er Jahren konzentrieren wir uns viel stärker darauf, die spezifischen Attribute eines nachhaltigen Investments zu definieren oder mit einer sehr detaillierten Nachhaltigkeits-Taxonomie zu arbeiten, d.h. der Schwerpunkt liegt weniger auf dem Prozess und mehr auf dem Ergebnis. Heute stellt SI häufiger einen Sachverhalt dar.

Ein relativ neuer Bereich

Im Unterschied zu anderen Finanzbereichen (insbesondere der doppelten Buchführung) ist Sustainable Investing noch ein relativ neues Feld. Man verzettelt sich leicht in den Definitionen und Erwartungen, vor allem wenn man sich in einer Phase befindet, in der die Regulierungsbehörden Fristen für die Erarbeitung von Lösungen setzen. Doch selbst beim besten Willen wird es noch länger dauern (hoffentlich nicht 400 Jahre!), bis wir zu einer weltweit akzeptierten und verstandenen Terminologie und Definition kommen.

Ist es am Ende wichtig, wie schnell wir zu einer vollständigen Übereinstimmung gelangen? Das wichtigste Instrument des Anlegerschutzes ist die Transparenz, und das wichtigste Ziel von SI ist es, die Finanzbranche in die Lage zu versetzen, das Naturkapital unseres Planeten, die Grundlage allen wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands, zu erhalten. Wir sind uns vielleicht nicht alle über den Weg dorthin einig, aber wir haben ein gemeinsames Ziel.