29-03-2023 · Research

Warum für Faktoranleger das Beste erst noch kommt

Nach den für quantitatives Investieren schwierigen Jahren 2018-2020 haben sich faktorbasierte Anlagestrategien kräftig erholt. Die Blase bei Wachstumsaktien, die durch den Covid-19-Schock noch vergrößert wurde, ist inzwischen durch eher normale Marktverhältnisse abgelöst worden, in denen die Performance faktorbasierter Strategien wieder in der Vergangenheit beobachteten Mustern gleicht. Dieses Comeback sollte Anleger allerdings nicht zu Selbstzufriedenheit mit Blick auf den Status quo verleiten. Stattdessen plädieren wir für eine durchdachte Weiterentwicklung von Factor Investing.

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  • David Blitz - Chief Researcher

    David Blitz

    Chief Researcher

Das derzeitige Umfeld ist für faktorbasierte Strategien spannender denn je. Zum Beispiel ermöglichen aktuelle empirische Studien es quantitativen Anlegern, viele Signale zu entdecken, die sich deutlich schneller entfalten als eher traditionelle Faktoren wie Value, Quality, Momentum und Low Risk. Typische Beispiele für solche Signale sind kurzfristige Umkehrungen und kurzfristiges Branchen-Momentum, die beide einen Lookback-Zeitraum von nur einem Monat aufweisen.

Solchen schnellen Signalen wird wegen der Sorge, dass nach Berücksichtigung der Transaktionskosten nichts davon übrigbleibt, oft keine Bedeutung beigemessen. Wir sind jedoch der Auffassung, dass dieses Problem durch Verbindung mehrerer kurzfristiger Signale, Beschränkung des Anlageuniversums auf liquide Aktien und Beachtung kostenmindernder Handelsregeln überwunden werden kann. Bei effizienter Umsetzung können kurzfristige Signale unter dem Strich hohes Alpha-Potenzial bieten, das es Anlegern ermöglicht, die Effizienzlinie zu verschieben.

Die zunehmende Bedeutung von alternativen Daten

Eine weitere interessante Entwicklung der letzten Jahre ist die rasche Zunahme verfügbarer alternativer Datensätze, die attraktive Möglichkeiten für Factor Investing „der nächsten Generation“ eröffnet. Klassische Faktoren werden hauptsächlich von Aktienkursen und von aus Jahresabschlüssen entnommenen Informationen abgeleitet. Andere häufig verwendete Daten sind Prognosen von Analysten und Kurse, die an anderen Märkten wie z. B. dem Rentenmarkt und den Märkten für Optionen und Leerverkäufe beobachtet werden.

Zu den Quellen für alternative Daten gehören – um nur einige zu nennen – Finanztransaktionen, Sensoren, mobile Geräte, Satelliten, öffentliche Aufzeichnungen und das Internet. Textdaten wie z. B. Zeitungsartikel, Berichte von Analysten, Protokolle von Bilanz-Telefonkonferenzen, Produktbewertungen von Kunden oder Unternehmensbewertungen von Mitarbeitern können mithilfe von immer ausgefeilteren Techniken zur Verarbeitung natürlicher Sprache in quantitative Signale umgewandelt werden.

Alle diese Daten können nicht nur zur Erstellung neuer Faktoren, sondern auch zur Erweiterung bestehender Faktoren verwendet werden. Beispielsweise wurde an den traditionellen Value-Faktoren kritisiert, dass sie nur die in der Bilanz ausgewiesenen materiellen Vermögensgegenstände berücksichtigen, während viele Unternehmen heutzutage vor allem immaterielle Vermögensgegenstände wie z. B. Wissenskapital, Marken- oder Netzwerkwert besitzen. Um z. B. den Wert von Wissenskapital zu schätzen, könnte man Patentdaten heranziehen.

Die Ankunft des maschinellen Lernens

Parallel zur Big-Data-Revolution hat auch die Rechenleistung von Computern explosionsartig zugenommen. Quantitative Anleger sind so in der Lage, über einfache Portfolio-Sortierungen oder lineare Regressionen hinauszugehen und Techniken des maschinellen Lernens (ML) wie so genannte „Random Forests“ und neuronale Netze anzuwenden, die höhere Rechenleistungen erfordern. Der wesentliche Vorteil dieser Techniken besteht darin, dass damit nichtlineare Effekte und Wechselwirkungen aufgedeckt werden können.

Neuere Studien berichten über eine deutliche Performance-Steigerung durch Anwendung von ML auf den Faktor Zoo. Allerdings bestehen auch Herausforderungen. Beispielsweise kann die Umschlagshäufigkeit bei ML-Modellen übermäßig hoch sein, weil diese Modelle in der Regel darauf „trainiert“ werden, die Renditen für den nächsten Monat vorherzusagen, wofür sie eine ausreichende Zahl unabhängiger Beobachtungen brauchen. Zudem ist es nicht einfach, die Ergebnisse von ML-Modellen zu interpretieren.

Durch maschinelles Lernen können zwar die Grenzen von Factor Investing weiter verschoben werden. Dafür müssen aber verschiedene Herausforderungen bewältigt werden.

Next-Generation Quant

Mit dem technologischen Fortschritt nehmen auch die Möglichkeiten für quantitative Investoren zu. Indem wir mehr Daten einbeziehen und fortgeschrittene Modellierungstechniken nutzen, können wir tiefere Einblicke gewinnen und bessere Entscheidungen treffen.

Nachhaltigkeit

Schließlich bietet das wachsende Interesse an der Integration von Nachhaltigkeit eine weitere große Chance für Factor Investing. Nachhaltigkeitskriterien können mit breit angelegten ESG-Scores oder spezifischeren Kennzahlen wie dem CO₂-Fußabdruck quantifiziert werden, die mittlerweile weithin verfügbar sind. Da solche Nachhaltigkeits-Scores konzeptionell mit Faktor-Scores vergleichbar sind, können sie bei der Portfolio-Optimierung recht einfach einbezogen werden.

Dies kann z. B. mittels fester Beschränkungen oder durch gegenseitige Aufrechnung in der Zielfunktion geschehen. Im Allgemeinen kann Nachhaltigkeit in beträchtlichem Maße in faktorbasierte Portfolios integriert werden, ohne dass sich dies wesentlich auf die Faktor-Exponierung auswirkt. Auf diese Art und Weise kann Factor Investing die beiden Ziele Wohlstand und Wohlergehen miteinander verbinden.

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