11-04-2023 · Einblick

Das dynamische Universum des Finanzsektors wird diese neue Krise überwinden

In der Finanzbranche ist in den letzten Wochen das Gespenst einer neuen Bankenkrise wieder umgegangen. In vielen Segmenten dieses vielfältigen und sich schnell wandelnden Universums wirken sich die Probleme mittelgroßer US-Banken allerdings zwar auf die Stimmung aus – nicht aber auf die Fundamentaldaten.

    Autoren/Autorinnen

  • Patrick Lemmens - Portfolio Manager

    Patrick Lemmens

    Portfolio Manager

  • Michiel van Voorst - Portfolio Manager

    Michiel van Voorst

    Portfolio Manager

  • Koos Burema - Portfolio Manager

    Koos Burema

    Portfolio Manager

Ein großer Stresstest

Der schnelle Anstieg der Nominalzinsen und das abrupte Umschlagen des drei Jahrzehnte andauernden Bullenmarktes bei US-Staatsanleihen haben Banken und Finanzunternehmen in der ganzen Welt einem neuen Stresstest ausgesetzt. Die meisten haben sich bereits auf das Ende der Nullzinspolitik eingestellt. Zugleich profitieren Banken und Versicherungen von höheren Gewinnspannen bzw. besseren Aktiv-Passiv-Strukturen. Indessen hat der Zinserhöhungszyklus im März erste Opfer gefordert – in den USA die Silicon Valley Bank (SVB) und andere mittelgroße Kreditinstitute sowie in der Schweiz die Credit Suisse (CS). Wir glauben allerdings, dass die Probleme lokalspezifisch bzw. im Falle von CS, in der wir nicht investiert sind, einem aufgeblähten, unstimmigen Geschäftsmodell geschuldet sind. Auch wenn der Finanzsektor insbesondere bei einer Verlangsamung der globalen Wirtschaft und einer Verschlechterung der Kreditqualität durchaus Risiken unterliegt, sehen wir keine systemischen Risiken.

Liegt die Krise bereits hinter uns?

Warum sind wir angesichts der jüngsten Turbulenzen so zuversichtlich? Und was passiert, wenn weitere Probleme auf uns zukommen? Zwar können wir weitere Turbulenzen nicht mit Sicherheit ausschließen, doch Tatsache ist, dass die meisten Unternehmen unseres Anlageuniversums dank höherer Zinsen heute rentabel sind. Auch wenn es mit Blick auf bestimmte Assetklassen, darunter Gewerbeimmobilien, sowie in Bezug auf verschleierte Risiken beispielsweise durch die „Schattenverschuldung“ weithin bekannte Bedenken gibt, versuchen wir soweit wie möglich, solche Risiken bei unseren Anlageentscheidungen zu berücksichtigen. Insbesondere Banken sind naturgemäß darauf angewiesen, dass ihnen Einleger, Kunden und Branchenkonkurrenten ihr Vertrauen schenken. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, und wir sehen keinen Grund dafür, warum rentable, gut geführte Institute mit qualitativen Vermögenswerten heute eine stärkere Einlagenflucht erleben sollten, als es vor einem Jahr der Fall war oder in einem Jahr der Fall sein wird.

Warum diese Krise anders ist

Die Erinnerungen an das Jahr 2008 lebten im März 2023 schnell wieder auf, als die SVB, ein scheinbar solides, in einer Nische agierendes Bankinstitut, plötzlich gezwungen war, seine Vermögenswerte mit Verlust zu verkaufen und binnen weniger Tage in die Insolvenz rutschte, während in der Schweiz die angesehene Crédit Suisse in Windeseile aufgelöst und mit der UBS fusioniert wurde. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zum Jahr 2008:

  • Grund für den Absturz der SVB war Missmanagement, nicht Betrug, und die zum Verkauf stehenden Vermögenswerte der Bank fanden problemlos Käufer, wohingegen im Jahr 2008 Vermögenswerte mit einem vermeintlichen AAA-Rating praktisch wertlos geworden waren, was Bedenken um die Solvenz des gesamten Finanzsystems ausgelöst hatte.

  • Die Einlagenflucht in den USA in andere Anbieter oder Geldmarktfonds ist ein neues Phänomen, das die Margen der US-Banken und insbesondere kleine und mittelgroße Institute unter Druck setzt. Doch damit verhalten sich die US-Anleger völlig rational und im Bestreben nach Rendite – nicht aus Furcht vor einem Kollaps. Zudem zeigt sich daran, dass traditionelle Geschäftsmodelle durch technologischen Fortschritt und kulturellen Wandel verdrängt werden, da sich die Menschen mit dem Zugang zu Online-Tools zunehmend entscheiden, ihr Geld selbst zu verwalten. Es handelt sich also um schöpferische Zerstörung, und nicht um eine Art Mini-„Minsky-Moment“.

  • Die europäischen Banken sind heute deutlich besser kapitalisiert als 2008, und die Einlagenentwicklung ist im März stabil geblieben. Daran zeigt sich, dass sich die Probleme spezifisch auf den US- und den schweizerischen Markt beschränken.

  • Die CS versuchte nach Jahren des Missmanagements und der unzureichenden Performance eine ehrgeizige, kostspielige Umstrukturierung. Viele Anleger stuften die Credit Suisse als „too big to fail“ ein, weshalb sie den Umstrukturierungsprozess abzuwarten bereit waren – so wie es einst auch bei der Deutschen Bank der Fall war, die heute wieder schwarze Zahlen schreibt. Der eigentliche Paukenschlag war jedoch das synchrone Zusammentreffen der SVB-Probleme mit der Ankündigung der SEC, dass sie Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung der Credit Suisse untersuchen will. Das mag man als schlechtes Management, als schlechtes Timing oder einfach auch als Pech bezeichnen – klar aber ist, dass der Untergang der CS nicht unvermeidlich gewesen wäre, wenn es zuvor nicht den Problemfall der SVB gegeben hätte, auch wenn dieser keinerlei direkten Auswirkungen auf die CS hatte.

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Die New World Financials-Strategie wurde für das neue Umfeld entwickelt

Ein weiterer Grund, warum wir dem „Krisengespenst“ gelassen begegnen, liegt darin, dass wir unsere New World Financials-Strategie nach dem Jahr 2008 entwickelt haben. Nachdem der Bankensektor seinerzeit mit beispiellosen Rettungspaketen aus dem Sumpf gezogen worden war, waren zwei Dinge klar: Zum einen war absehbar, dass eine strengere Regulierung kommen wird, zum anderen stand der Finanzsektor durch das Aufkommen neuer Technologien vor einem Innovations- und Wettbewerbsschub. Auf dieser Grundlage haben wir seinerzeit die demografischen, geografischen und technologischen Basistrends ermittelt, die den Wandel maßgeblich vorantreiben, und entsprechend investiert. Das wichtigste Ergebnis ist, dass wir von einer Strategie, die sich auf das traditionelle Finanzwesen konzentrierte, auf ein viel breiter gefächertes Universum übergegangen sind. Die Annahme, dass wachsende Lebensversicherungsmarken oder cashflowstarke Fintech-, Zahlungsdienst- und Tech-Infrastruktur-Anbieter unter Druck geraten sollten, weil einige traditionelle Banken in Schwierigkeiten geraten, entbehrt unseres Erachtens jeder Logik.

Wie investieren wir in Banken?

Das Engagement der Strategie in Banken und diversifizierten Finanzunternehmen lag im März 2023 bei 35 % gegenüber 55 % im MSCI All Country World Financials (siehe Abbildung 1), der Benchmark, an der wir uns orientieren. Im Rahmen dieser 35 % haben wir zuletzt unser Engagement in Banken erhöht, die vom Zusammenbruch der CS profitieren könnten, indem sie ihr Private-Banking-Geschäft ausbauen, insbesondere in asiatischen Finanzmetropolen wie Singapur und Tokio. Die Kunden von UBS und CS dürften versuchen, ihre Risiken zu diversifizieren. Angesichts des Marktanteils von CS in Asien glauben wir daher, dass dies eine solide Möglichkeit bietet, um sowohl in unterbewertete lokale Titel als auch in einigen globalen Banken zu investieren, die in diesem Markt bereits gut positioniert sind. Im Rahmen unseres Trends „Finanzdienstleistungen in den Schwellenländern“ sind wir in Schwellenländer-Banken mit Engagements in Indonesien, Indien, Brasilien und Mexiko übergewichtet.

Indessen wird der japanische Finanzsektor unserer Ansicht nach unmittelbar von der Überwindung der Deflation profitieren. Seit Ernennung des scheidenden Chefs der Bank of Japan, Haruhiko Kuroda, im Jahr 2013, sind die Bewertungen japanischer Finanzunternehmen gegenüber den globalen Branchenkonkurrenten deutlich gesunken. So werden die Aktien von Banken und Lebensversicherern des Landes heute mit erheblichen Abschlägen gegenüber ihrem Buchwert und ihrem Embedded-Value gehandelt, sodass die Kurse im Zuge der steigenden Rentabilität der Institute tendenziell nach oben zeigen dürften. Zugleich sind wir in US-Banken untergewichtet, da wir mit einer anhaltend eingetrübten Stimmung, schwachen Nettozinsmargen und einer potenziell strengeren Regulierung nach dem SVB-Zusammenbruch rechnen.

In Europa sind wir nach den Ereignissen vom März 2023 im Bankensektor neutral positioniert. Auch wenn die europäischen Institute heute gut kapitalisiert und insgesamt in einer weitaus gesünderen Verfassung sind als 2008, werden positive Effekte aus den höheren Nettozinsmargen durch die ebenfalls höheren Einlagenzinsen aufgezehrt. Zugleich sehen wir angesichts des anhaltend langsamen Wirtschaftswachstums in der Eurozone keine weiteren kurz- bis mittelfristigen Katalysatoren.

Abbildung 1 – Engagement des New World Financials im Vergleich zur Benchmark, vor Indexanpassung (indikativ)

Abbildung 1 – Engagement des New World Financials im Vergleich zur Benchmark, vor Indexanpassung (indikativ)

Quelle: Robeco, MSCI

Der Bereich digitale Finanzen steht nach Kurskorrektur und MSCI-Index-Neugewichtung an einem Wendepunkt

Nach einer klaren Kurskorrektur im Jahr 2022 haben sich Fintech- und Zahlungsdienstaktien, die im März 2023 praktisch seitwärts tendierten, zuletzt als immun gegen die schwache Stimmung erwiesen, die durch die Instabilität im Bankensektor verursacht wurde. Diese Widerstandsfähigkeit überrascht kaum, wenn man, wie wir, nicht davon ausgeht, dass der aktuelle Stress im Bankensektor systembedingt ist. Zwar haben einige Fintechs auch eine Banklizenz – üblicherweise aber nur, um unter dem Dach der Aufsichtsbehörde bestimmte Dienstleistungen anbieten zu können, und nicht, um Einlagen- und Kreditgeschäfte zu machen. Der Fintech-Sektor profitiert weiterhin von einer starken strukturellen Wachstumsdynamik beispielsweise am E-Commerce-Markt, der weiter expandiert. Wir glauben daher, dass die Bereiche moderne Zahlungsdienste, embedded Finance (Integration von Finanzdienstleistungen außerhalb von Banken) und Online-Kreditlösungen weiterwachsen werden.

Dass der Finanzsektor immer enger mit dem Technologiesektor verzahnt ist, wurde einmal mehr am 17. März 2023 untermauert, als MSCI nach Handelsschluss in einem überarbeiteten „Global Industry Classification Standard“ (GICS) verschiedene Technologie- und Zahlungsdienste-Anbieter aus dem Sektor Informationstechnologie in den Finanzsektor umgliederte. Dieser Schritt bestätigt unsere seit langem bestehende Ansicht, dass Unternehmen wie Mastercard und Visa eher als Fintech-, und nicht als reine Technologieunternehmen betrachtet werden sollten – genau wie andere Kreditkartennetzwerke wie Discover Financial Services und American Express, die schon immer dem Finanzsektor zugeordnet waren. Ende Mai 2023 sollen auch die MSCI-Indizes entsprechend angepasst werden.

Globale Lebensversicherungen: Rückenwind durch Ende der Nullzinspolitik und demografische Entwicklung in den Schwellenländern

Mit Blick auf unseren Trend „Finanzprodukte im Bereich Altersvorsorge“ sehen wir für die nächsten zehn Jahre ein weiterhin stetiges und verlässliches Wachstum aufgrund der demografischen Entwicklung in den Industrieländern und der Tatsache, dass immer mehr globale Lebensversicherer in den Schwellenländern agieren, die insgesamt im Versicherungsbereich noch unterversorgt sind. In Kombination mit dem Ende der Nullzinspolitik, das der Solvenz und dem Risikomanagement im Versicherungssektor zugutekommt, halten wir das Umfeld mittel- und langfristig für äußerst positiv, weshalb wir in diesem Sektor stärker gewichtet sind als die Benchmark.

Aufgrund der allgemeinen schlechten Anlegerstimmung gegenüber dem gesamten Finanzsektor haben auch Lebensversicherungswerte im Februar und März einen Rücksetzer erlitten. Diesen sehen wir jedoch als gute Gelegenheit, um in Unternehmen zu investieren, die in der Lage sind, in einem sich normalisierenden Zins- und Ertragsumfeld überdurchschnittliche Renditen zu generieren.