Der vielbeachtete US Consumer Price Index (CPI) stieg auf annualisierter Basis um 6,2 % – das ist der höchste Wert seit 1990. Dafür verantwortlich gemacht wurden vor allem höhere Energie- und Nahrungsmittelpreise. Allerdings betrug der Anstieg des Index immer noch 4,6 %, wenn man diese Güter auslässt.
Dies veranlasste die US-Notenbank dazu, während einer Anhörung ihres Vorsitzenden Jerome Powell im Kongress am 30. November ihre geänderte Einschätzung bekanntzugeben. Demnach sei die erhöhte Inflation nicht lediglich ein „vorübergehendes“, sondern ein eher dauerhaftes Phänomen. An den Finanzmärkten sorgte das für Überraschung.
Die Aktienkurse gingen zurück, da ein wesentlich schnellerer Ausstieg aus den geldpolitischen Anreizprogramm zwecks Bekämpfung der Inflation und im Anschluss daran eine frühere erste Leitzinserhöhung befürchtet wurden. Die Zinsen waren im März 2020 zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie gesenkt worden. Anfängliche Kursgewinne an den Anleihenmärkten angesichts der Omikron-Variante des Coronavirus kehrten sich später ins Gegenteil um, da die Marktteilnehmer begannen, einen früheren Zinsanstieg (aktuell für Mai 2022 erwartet) vorwegzunehmen.

Schnellerer Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik
„Die globalen Anleihenmärkte sind mit steigendem Inflationsdruck konfrontiert und die US-Notenbank hat sich von ihrem Szenario einer „vorübergehenden“ Inflation verabschiedet. Damit rückt ein schnellerer Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik näher“, sagt Peter van der Welle, Strategieexperte im Multi-Asset-Team von Robeco.
„Die Fed-Funds Futures-Kurve hat sich in Reaktion darauf versteilert, da die Marktteilnehmer nun mit früheren Leitzinserhöhungen rechnen. So wird erwartet, dass es auf der FOMC-Sitzung im Mai 2022 zu einer Zinsanhebung kommt.“
„Basierend auf der Swap-Kurve scheinen Leitzinserhöhungen auf maximal 1,75 % (aktuell 0,25 %) erwartet zu werden. Dies würde bedeuten, dass im Vergleich zu früheren Zinsanhebungszyklen der Höchststand der Leitzinsen relativ niedrig bleiben würde. Das wirkt einem starken Anstieg der Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen entgegen.“
Stich in den Rücken
Die Aktienkurse litten bereits unter der Bekanntgabe der ansteckenderen Omikron-Variante des Coronavirus, auf die mit Einschränkungen des Flugverkehrs und weiteren Eindämmungsmaßnahmen in Europa reagiert wurde. Dies ging vor allem zulasten von Aktien aus den Bereichen Reise und Hotellerie.
Die Märkte waren noch dabei, dies zu verarbeiten, als Powell anmerkte, dass die US-Notenbank „in Erwägung ziehen sollte, den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik vielleicht einige Monate früher abzuschließen“, weil „die Konjunktur derzeit sehr stark und der Inflationsdruck hoch ist“.
„Der November ist typischerweise ein guter Monat für die Aktienmärkte, in dem sich die Gewinne des laufenden Jahres im Schnitt um 1 Prozentpunkt erhöhen“, sagt Van der Welle. „Diesmal war es anders – so gaben die globalen Aktienmärkte im Monatsverlauf um 1,5 % nach. Der Stich in den Rücken erfolgte in Form der Aussage von Powell im US-Kongress, welche die Analysten überraschte.“
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Gute und schlechte Inflation
„Dies stellt eine drastische Abkehr vom bisherigen Szenario da, wonach die „Inflation lediglich vorübergehend“ sei. Mittlerweile hat sich die Rhetorik der US-Notenbank verschärft, da ihr die Inflation zunehmend Sorgen bereitet. Das Niveau und das Tempo des Inflationsschubs erhöht das Risiko von Zweitrundeneffekten und sich verfestigender Inflation.“
„Die Art der Inflation ist entscheidend. Die aktuell zu beobachtende Teuerung stellt in erster Linie keine „gute“ Inflation dar – also kein stetiger Preisanstieg, der mit einer im Gleichgewicht befindlichen Wirtschaft einhergeht. Stattdessen erlebt die Weltwirtschaft eine „schlechte“ Inflation, die durch Angebotsengpässe verursacht wird, die am Ende den Weg für eine „hässliche“ Inflation bereiten könnten.“
„Angesichts der anhaltenden Stärke des US-Arbeitsmarkt nimmt das Risiko einer „hässlichen“ Inflation zu, die sich aus einer Lohn-Preis-Spirale ergibt, weil sich die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern verbessert hat.“
Meinungsumschwung durch die Omikron-Variante
Van der Welle sagt, dass die US-Notenbank laut Powell die Inflation falsch eingeschätzt habe, da die Nachfrage während der Pandemie künstlich gedrosselt worden war. Gleichzeitig bewirkte angebotsseitiger Druck nicht-lineare Effekte, die von normalen Makromodellen nicht erfasst werden.
„Die Omikron-Variante des Coronavirus verleiht dem Meinungsumschwung der US-Notenbank zusätzliche Dynamik“, sagt er. „Die OECD hat gewarnt, dass die Inflation erst dann abflauen werde, wenn die Pandemie vorbei sei. Eine neue Variante könnte den Kampf gegen das Coronavirus und damit den Inflationsanstieg in die Länge ziehen.“
Allerdings gibt es nicht nur schlechte Nachrichten. So zeigte die herausragende Gewinnberichterstattung der US-Unternehmen für das dritte Quartal, dass die Unternehmen weiter an Preissetzungsmacht gewinnen. Dies schafft gute Voraussetzungen für Aktien.
Fragen bestehen auch hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs des Ausstiegs aus der lockeren Geldpolitik und der Anhebung der Leitzinsen. So hängt viel von der Partizipationsrate am US-Arbeitsmarkt ab, also des Anteils der Menschen, die am Arbeitsmarkt aktiv sind. Diese Größe liefert eine Indikation für die tatsächliche Stärke der Konjunktur.