10-07-2023 · Interview

Nur Geduld! Emerging Markets-Fundamentaldaten werden sich bezahlt machen

Wim-Hein Pals, Head of Emerging Markets bei Robeco, der während der Krisen der 1990er Jahre seine ersten Anlageerfahrungen in den Emerging Markets gesammelt hat, hält die Wirtschaft der Schwellenländer heute für viel stabiler und das Bewertungsniveau für sehr attraktiv.

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  • Wim-Hein Pals - Head of Emerging Markets team

    Wim-Hein Pals

    Head of Emerging Markets team

Hohe Erwartungen

Ein viel beachtetes Anlagethema ist in diesem Jahr die Hinwendung zu den Emerging Markets (EM) wegen der Erwartung ihrer Outperformance, wenn die Fed ihren Kampf gegen die Inflation beendet und die Zinssätze in den USA allmählich zurückgehen. Das ist nicht passiert, und der US-Aktienmarkt ist wegen des Themas künstliche Intelligenz bei Large-Cap-Technologieaktien kräftig gestiegen. Dass die EM starke Fundamentaldaten besitzen, gilt aber unverändert, meint Wim-Hein Pals.

„Für die nächsten Jahre sind wir mit Blick auf die EM wegen mehrerer günstiger Faktoren sehr optimistisch. Generell ist die Inflation in den Schwellenländern deutlich niedriger als in den Industrieländern, was ihnen Spielraum gibt, die Zinssätze früher zu senken als Letztere“, sagt er.

Pals nennt China, das seine Geldpolitik bereits lockert, und Brasilien als Länder, die den globalen Lockerungszyklus anführen werden. Die Realzinssätze liegen in Brasilien bei 8 %, sodass reichlich Spielraum für eine Lockerung der Geldpolitik vorhanden ist. Andere lateinamerikanische und asiatische Länder werden folgen. Laut Pals sind riesige Devisenreserven, Handelsüberschüsse und eine umsichtige Finanzpolitik für fast alle großen Schwellenländer wie Thailand, Südkorea, Taiwan und China charakteristisch. Außerdem haben die Unternehmensgewinne die Talsohle durchschritten und werden jetzt wieder steigen.

„Was die Bewertung in diesen Märkten angeht, muss man nicht lange überlegen. Historisch betrachtet sind die EM im Vergleich zu den Aktienmärkten der Industrieländer erstaunlich günstig. Und auch gemessen an den Zinssätzen sind sie ganz klar unterbewertet.“

Wim-Hein Pals - Head of Emerging Markets team

Wim-Hein Pals
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Die Emerging Markets sind historisch betrachtet erstaunlich günstig

Pals erwartet, dass die EM im nächsten Zyklus die Führung übernehmen werden, sobald die Fed die Zinssätze nicht weiter erhöht; denn die Faktoren, die in den letzten zehn Jahren zur Outperformance der Aktienmärkte der Industrieländer geführt haben, fehlen jetzt.

„Die Quantitative Lockerung ist beendet oder verschwindet, die realen Zinssätze werden normaler, und es gibt EM mit sehr guten Fundamentaldaten. Die Ausgangssituation ist sehr klar.“

EM-Bewertungsabschläge wegen Unternehmensführung ergeben keinen Sinn mehr

Ein weiterer Faktor, der das Bewertungsniveau in den EM relativ zu den Industrieländern nach unten drückt, sind die gefühlten Risiken in Bezug auf die Unternehmensführung. Dies ist laut Pals aber nicht mehr gerechtfertigt.

„Es gibt die irrige Vorstellung, dass es in Bezug auf die Unternehmensführung in den EM deutliche höhere Risiken gäbe als in den Industrieländern. Ich bezweifle das, weil es in beiden Gruppen von Ländern die gleiche Art von Risiken gibt. Bei den aktuellen Bewertungskennzahlen bestehen meiner Meinung nach für Aktienanleger in den USA deutlich größere Risiken in Bezug auf die Unternehmensführung als beispielsweise in Südkorea.“

Pals verweist auf mehrere Unternehmensskandale wie Wirecard und Credit Suisse, die in den letzten Jahren in den Industrieländern hohe Wellen geschlagen haben.

„Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt auch Beispiele in China, Indien und anderen Ländern. Als Aktienanleger zahlt man aber in den EM 30 % weniger für dieselben Unternehmensgewinne wie in den Industrieländern“, sagt er.

Und er fügt hinzu, dass bei Robeco die Fokussierung auf nachhaltiges Investieren mit einem Team von 50 Analysten und Spezialisten für aktive Einflussnahme die Aktienauswahl in den EM anspruchsvoller macht. „Es gibt eine sehr starke Fokussierung auf Unternehmensführung und Transparenz, die Qualität der Rechnungslegung und zunehmend auf ökologische und soziale Aspekte“, sagt er.

Wie sollte man bei der Türkei vorgehen?

Nicht alle EM besitzen solide Fundamentaldaten. Ausnahmen sind z. B. die Türkei und Argentinien, die hohe Inflationsraten und schwache Währungen haben.

„Ich achte immer sehr auf die Inflation, die die Rendite von Aktienanlegern zunichte machen kann. In der Vergangenheit gab es mehrere solche Fälle, und zurzeit ist die Türkei das perfekte Beispiel. Sie ist das Paradebeispiel für eine außer Kontrolle geratene Inflation und eine Politik, die keinen Sinn ergibt wie z. B. eine Senkung der Zinssätze bei steigender Inflation – wie in den letzten vier oder fünf Jahren geschehen.“

Laut Pals steht der Türkei eine gewaltige Anpassung bevor. Denn Vertreter einer orthodoxen Geldpolitik sollen jetzt helfen, die Wirtschaftslage durch Zinserhöhungen zu verbessern.

„Das wird im Ausland wieder Vertrauen schaffen und die Stimmung mit Blick auf türkische Vermögenswerte verbessern. Und es könnte zu mehr ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei führen. Sie ist für viele multinationale Unternehmen ein sehr interessanter Wirtschaftsstandort und besitzt Potenzial für massive Investitionen ausländischer multinationaler Unternehmen“, sagt er.

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Lehren aus den 1990er Jahren

Pals begann seine Karriere als EM-Investor bei Robeco 1992. In den folgenden Jahren war er mit der mexikanischen „Tequila“-Krise (1994), der Asienkrise (1997) und der Russlandkrise (1998) konfrontiert. Er sagt, er habe gelernt, einen bei Investments in EM häufigen Fehler zu vermeiden, nämlich nach einer Krise zu früh in einen Markt einzusteigen oder wieder einzusteigen, um eine Erholung nicht zu verpassen.

„Wann geht die Türkei-Krise zu Ende? Wir wissen es nicht. Das haben wir 1997 und 1998 in Thailand gelernt.“

Pals sagt, dass sein Team Thailands Krise richtig antizipiert hatte und Anfang 1997 Short-Positionen im thailändischen Baht und Long-Positionen in den Aktien thailändischer Exporteure besaß. Es konnte Gewinne mitnehmen und dann Ende 1997/Anfang 1998 wieder in den Markt einsteigen, als die Aktien der überlebenden thailändischen Banken auf das 0,3-fache ihres Buchwerts abgestürzt waren.

„Die negativen Nachrichten rissen nicht ab, und die Aktien thailändischer Banken fielen weiter, so dass wir sie zum 0,2-fachen Buchwert nachkauften. Unterdessen macht man aber Verluste und erreicht nur eine unterdurchschnittliche Performance.“

Das Investment zahlte sich schließlich Ende 1998 aus, als die Aktienkurse der Banken wieder auf den 0,6-fachen Buchwert stiegen. „Es hätte sich aber viel mehr gelohnt, etwas länger zu warten, bis sich der Baht stabilisierte. Vermutlich ist es besser, etwas zu lange zu warten und etwas von den Kursgewinnen zu verpassen, als zu früh einzusteigen und zum Beispiel weitere 20 % zu verlieren“, sagt er.