16-01-2023 · Interview

„Die Talente in einem Investmentteam entscheiden über den Erfolg“

Die Analyse der Qualität der Mitarbeiter und ihrer Anlagekompetenz ist bei der Managerauswahl von zentraler Bedeutung. Darüber und über andere Themen sprechen wir mit dem Anlageexperten Edouard Stucki, einem früheren Pensionsfonds-Manager bei comPlan in der Schweiz.

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  • Lusanele Magwa - Quant Investment Specialist/CPM

    Lusanele Magwa

    Quant Investment Specialist/CPM

Wie gehen Sie als langfristig orientierter Investor mit der Unsicherheit um, die angesichts der derzeitigen Marktturbulenzen herrscht?

„Zuerst muss man den Zweck eines Investments betrachten. Meine Sichtweise ist die eines ehemaligen Pensionsfonds-Managers mit Zuständigkeit für eine auslaufende Anlage ohne Leverage. In diesem Fall decken die Pensionsbeiträge die Pensionszahlungen noch ausreichend ab, sodass keine Abhängigkeit vom Anlageportfolio besteht. Pensionsfonds in der Schweiz müssen auch über eine Bewertungsreserve bei den gehalten Wertpapieren verfügen, die als Puffer dienen soll.“

„Deshalb besteht keine unmittelbare Notwendigkeit zu schnellen Verkäufen, da das Portfolio darauf ausgelegt ist, Kursrückgänge am Markt bis zu einem gewissen Grad abzufedern. Damit können erhebliche Verluste über einen Zeitraum von rund einem Jahr ausgeglichen werden. Hält ein solcher Trend allerdings mehrere Jahre lang an, müssten wir unsere Handlungsoptionen prüfen. Marktturbulenzen betreffen hauptsächlich – aber nicht nur – Aktienanlagen. In diesem Zusammenhang verfügen wir über ein Risikomanagement-Tool zur Steuerung unserer Allokationen. Wenn also die Volatilität und andere kursbasierte Indikatoren extreme Niveaus erreichen, können wir unsere Positionierung entsprechend anpassen.“

„Das durchschnittliche Aktien-Exposure des Portfolios liegt bei 25 %. Unter günstigen Bedingungen können wir unsere Aktienposition bis zu einem gewissen Grad erhöhen. Wird das Umfeld jedoch sehr riskant, können wir unseren Aktienbestand in bestimmter Höhe reduzieren. Diese Untergrenze unterschreiten wir allerdings nie und wir bleiben so stets am Aktienmarkt investiert. Innerhalb unseres Aktienkorbs verfügen wir auch über einen Anteil von Aktien mit geringer Volatilität. Ein erheblicher Anteil unserer Aktienanlagen in entwickelten und aufstrebenden Ländern entfällt auf die Strategie Robeco Conservative Equities. Dadurch verringert sich unsere Risiko-Exposure weiter.“

„Was Anleihen betrifft, haben wir unsere Allokation beibehalten. Allerdings haben wir die Duration etwas reduziert. Wir nehmen vorzugsweise keine größeren Änderungen vor, da der Versuch des Markt-Timings für gewöhnlich scheitert. Zudem haben Anleihenanlagen zwei Seiten. Wenn die Zinsen steigen, gehen zunächst die Kapitalwerte zurück. Doch anschließend beginnt das Portfolio wieder höhere Zinsen zu vereinnahmen. Weil dies zu einer höheren Abzinsungsrate führt, fällt der Gegenwartswert der Pensionsansprüche auf der passiven Seite der Bilanz. Wenn also die Zinsen steigen, kommt dies dem Portfolio zugute, da sich dadurch seine Deckungsquote verbessert.“

„Des weiteren verfügen wir über eine Allokation von rund 5 % im Bereich Private Debt mit variabler Verzinsung. Das ist aus Bilanzierungsperspektive enorm hilfreich, auch wenn es sich um eine Bewertungsillusion handelt, weil dabei starke Veränderungen der Marktwerte lediglich in die Zukunft verschoben werden. Sie sind natürlich zweifellos gegeben, doch bilanztechnisch ist die Sache hilfreich. Und für gewöhnlich gehen Phasen der Marktturbulenzen irgendwann zu Ende. Sie sehen also, dass ich zu einem gewissen Grad Optimist bin.“

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Losgelöst vom Umgang mit Unsicherheit an den Märkten, was bestimmt Ihr generelles Denken in punkto Strategische Asset-Allokation?

„Ein Pensionsfonds muss mit seinen zugrundeliegenden Anlagen einen Ertrag erwirtschaften, mit dem er seine Pensionsverpflichtungen erfüllen kann. Es handelt sich also um eine „Liability-Driven“-Anlagestrategie Dieser Zusammenhang hat für uns die größte Priorität. Wir bemühen uns dementsprechend um einen Anlagemix im Portfolio, welcher den benötigten Ertrag zum geringstmöglichen Risiko abwirft. Bei den zugrundeliegenden Berechnungen berücksichtigen wir die Struktur der Pensionsverpflichtungen, indem wir zahlreiche Aspekte betrachten, darunter folgende: Wie alt sind die Einzahler in den Pensionsfonds? Wie alt sind die Bezieher von Pensionsleistungen? Wie viele Mitglieder umfasst das Pensionsschema? Handelt es sich um eine breit diversifizierte Gesamtheit von Personen? Wo liegt die erwartete Sterblichkeit?“

„Sehr wichtig ist die Ausgangsfrage: Ist der Pensionsfonds im Gleichgewicht oder nicht? Dies messen wir mathematisch anhand der Deckungsquote. Wichtig ist auch, dass das Niveau der laufenden Beiträge ausreichend ist. Auf dieser Grundlage versuchen wir anschließend, das Portfolio zu ermitteln, welches die größte Widerstandsfähigkeit gegenüber Verlustrisiken aufweist. Wir müssen also ein Portfolio bilden, das die Deckungsquote zumindest stabil hält oder vorzugsweise im Zeitverlauf steigen lässt.“

„Anschließend führen wir in dreijährigen Intervallen Projektionen auf Sicht von 3, 5 und 10 Jahren durch. Wir wissen nämlich, dass die Ergebnisse mit einiger Wahrscheinlichkeit ungenau sind. Das ist aber in Ordnung, da wir nicht versuchen, das profitabelste Portfolio zu ermitteln, auch wenn es schön wäre, wenn dies gelänge. Wir erhalten so aber eine Indikation für das widerstandsfähigste Portfolio.“

„Zu diesem Zweck schätzen wir den erwarteten Ertrag und die Volatilität für jede Assetklasse sowie die Korrelationen der Assetklassen untereinander. Anschließend bilden wir zahlreiche verschiedene Portfoliotypen mit unterschiedlichen Assetklassen-Anteilen, bevor wir verschiedene Szenarien simulieren. Diese Analyse zeigt uns, wie sich die einzelnen Portfolios in verschiedenen Umfeldern im Vergleich zu den Verpflichtungen im Zeitverlauf entwickeln. Am Ende ermöglicht uns der Prozess, das widerstandsfähigste Portfolio zu ermitteln.“

Neben der Asset Allocation stellt die Auswahl der Assetmanager eine weitere wichtige Entscheidung dar. Welche Kriterien berücksichtigen Sie dabei?

„Ich war früher Anlageberater bei einer großen internationalen Firma und habe seither stets den Ansatz verwendet, den ich dort gelernt habe. Die drei entscheidenden Faktoren, die wir betrachten, sind das Unternehmen, der Prozess und die Mitarbeiter.“

„Der wichtigste Aspekt ist die Analyse der Qualität der Mitarbeiter und ihrer Anlagekompetenz im Hinblick auf die Zukunft. Wir prüfen, ob alle Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass ein Anlagemanager weiterhin eine Benchmark oder ein absolutes Renditeziel übertreffen kann. Allgemein versuchen wir die zukünftige Investmentkompetenz und daraus abgeleitet den zukünftigen Anlageerfolg zu ermitteln. Eine der Kennzahlen, die wir in einem relativen Kontext untersuchen würden, wäre beispielsweise die erwartete Information Ratio.“

„Des weiteren müssen das Unternehmen und der Investmentprozess das Können und die Kompetenz der Mitarbeiter unterstützen. Wir bevorzugen Manager mit institutionellem Fokus, wenngleich das nicht entscheidend ist. Betrachten wir aber einmal einen Finanzdienstleistungskonzern, der einen Assetmanager und einen Wealth Manager umfasst. Die beiden Unternehmensbereiche dienen unterschiedlichen Kundenbedürfnissen, beispielsweise im Hinblick auf die Besteuerung. Wealth Manager verwalten Anlagen dergestalt, dass die Steuerbelastung möglichst gering bleibt. Für Pensionsfonds wäre ein solcher Ansatz jedoch nicht optimal, da sie selbst nicht steuerpflichtig sind.“

„Der Prozess ist daher wichtig. Vergleicht man mehrere Manager miteinander, fällt es allerdings sehr schwer, große Unterschiede festzustellen. Somit sind letztlich die in einem Investmentteam vorhandenen Talente entscheidend für den Erfolg. Insgesamt betrachtet ist die Managerauswahl zukunftsgerichtet. Die Vergangenheit betrachten wir nur, um die Verfahren zu verstehen, woher die Mitarbeiter stammen, wie der Prozess in unterschiedlichen Marktsituationen funktioniert hat und um was für ein Unternehmen es sich handelt. Wir versuchen dagegen nicht, bisherige Trends über Gebühr zu extrapolieren. Ganz vermeiden lässt sich das ehrlich gesagt aber nicht.“

Wir befinden uns in einem interessanten Marktumfeld. Was erwarten Sie vor diesem Hintergrund für die nächsten 5-10 Jahre?

„Ich würde nicht meinen Kopf hinhalten für eine Einschätzung auf Sicht der nächsten fünf oder gar zehn Jahre. Aber ich kann Ihnen meine Einschätzung auf kurze Sicht erläutern. Zwar steigen derzeit die Zinsen, jedoch glaube ich, dass sie im Vergleich zu dem Niveau vor rund 20 Jahren relativ niedrig bleiben werden. 2023 wird eine Rezession in den USA wahrscheinlicher. Gleichzeitig wird es in Europa höchstwahrscheinlich eine harte Landung der Konjunktur geben. Ich glaube aber, dass die Zentralbanken den Kampf gegen die Inflation gewinnen werden.“

„In den Emerging Markets werden es einige Länder aufgrund ihrer hohen Verschuldung schwerer haben. Andere sind bereits weiter, was die Bewältigung des Inflationsanstiegs angeht, und einige könnten sogar wieder mit der Lockerung ihrer Geldpolitik beginnen. Vor diesem Hintergrund betrachtet halte ich Aktien aus Schwellenländern für attraktiv bewertet. Titel aus entwickelten Volkswirtschaften dürften profitieren, wenn der Inflationsdruck nachlässt, sich die bevorstehende Rezession ihrem Ende nähert und der Krieg in der Ukraine hoffentlich zu einem vernünftigen Ende kommt.“

„Ich weiß allerdings nicht, wann das geschehen wird. Selbst wenn ich zum Markt-Timing befähigt wäre, würde ich nicht davon ausgehen, dass dies bald der Fall sein wird. Erhebliche Sorgen bereitet auch der Anstieg der Verschuldung in vielen Ländern im Zuge der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der Energiekrise. Ich glaube daher, dass wir letztlich irgendwo zwischen den „Silver Twenties“ und den „Stag Twenties“-Szenarien landen werden, die Robeco in seiner Publikation „Epoche der Verunsicherung“ umrissen hat.“

Konkreter gefragt: Wie sehen Sie die Zukunft des Quant Investing?

Quant Investing wird weiterhin aktuell bleiben – schlicht aufgrund der ihr zugrundeliegenden Technologie. Während sich die Technologie weiter entwickelt und die Anwendungen sich verbessern, wird der Anlagestil relevant bleiben. Allerdings sind Quant-Manager tendenziell vergangenheitsorientiert. Ein Beispiel dafür ist der Rückstand von Quant-Investments, der sich daraus ergab, dass quantitative Modelle infolge ihrer Vergangenheitsorientierung die großen Technologieaktien unterschätzten.“

„Die andere Perspektive ist die, dass es fundamental orientierte Manager gibt, welche die Faktor-Exposures in ihren Portfolios berücksichtigen. Sie geben das möglicherweise nicht zu, aber es kommt vor. Könnte man den zukunftsgerichteten Ansatz fundamentaler Manager mit dem vergangenheitsorientierten Ansatz quantitativer Manager kombinieren, würde man möglicherweise eine gute Mischung aus den beiden Vorgehensweisen erhalten.“