21-04-2022 · SI Dilemmas

SI Dilemma: Die unerwartete neue Debatte über Waffen

Nachhaltige Investments waren nie eine statische Angelegenheit. Sie haben sich im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt und umfassen heute ein wesentlich breiteres Spektrum an Anlageklassen und Ansätzen. Eines haben sie jedoch gemeinsam: sie alle basieren auf einer Reihe an Überzeugungen, die mit Themen wie Umweltschutz oder Gleichheit zwischen den Generationen verbunden sind. Und sie alle sind darauf ausgerichtet, die drängendsten Herausforderungen zu identifizieren und zu bewältigen. So zielte auch die Einführung der UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) im Jahr 2015 darauf ab, einen gemeinsamen, wenn auch unvollkommenen Bezugsrahmen für nachhaltige Anleger zu schaffen.

    Autoren/Autorinnen

  • Rachel Whittaker, CFA - Head of SI Research

    Rachel Whittaker, CFA

    Head of SI Research

Doch wird gerade einer der ältesten Grundsätze des nachhaltigen Investierens infrage gestellt – der Ausschluss von Waffen aus nachhaltigen Portfolios. Der Ausschluss von Waffen war nie ein einfaches Thema, das klar zu befürworten oder abzulehnen wäre. Denn schon immer mussten Anleger bestimmte Entscheidungen treffen. Beispielsweise, ob Waffen pauschal ausgeschlossen werden sollten oder nur solche, die an das Militär verkauft werden. Oder ob nur die Hersteller auszuschließen sind, oder auch die Händler. Und: Sind Schusswaffen für den Sport gleich zu behandeln wie Streubomben?

Definitionen sind wichtig

Wenn es um die Grundprinzipien geht, sind sich die meisten nachhaltigen Anleger einig. So beschränkt sich auch die gängige Praxis, hoch umstrittene Waffen zu meiden, nicht etwa auf ethische oder nachhaltige Investitionen. In der Schweiz ist es den Banken und Pensionskassen durch das Kriegsmaterialgesetz (KMG) untersagt, in Ausrüstungen zu investieren, die speziell für den militärischen Einsatz bestimmt sind. Allerdings betrifft das relativ wenige Geschäftstätigkeiten, weshalb der Branchenverband Swiss Sustainable Finance (SSF) bei seiner Schätzung des nachhaltig verwalteten Vermögens Fonds erst gar nicht berücksichtigt, die lediglich die gesetzlichen Mindestanforderungen für einen Ausschluss von Waffen erfüllen.

Der Krieg in der Ukraine hat die Debatte über den Ausschluss von Waffen neu entfacht. Einige Anleger und Beobachter fordern, den praktisch universellen Ausschluss von Waffen aus nachhaltigen Portfolios auf den Prüfstand zu stellen. Dahinter steckt die grundsätzliche Frage, ob Waffen wirklich notwendig sind, um den Frieden und die Demokratie zu schützen. Könnten Waffen tatsächlich zur Erfüllung von SDG 16 beitragen oder sogar notwendig sein: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen?

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EU-Taxonomie

Die Debatte wird weiter angeheizt durch den im Februar vorgelegten Vorschlag für eine EU-Sozialtaxonomie für nachhaltige Finanzen, die nur hoch umstrittene Waffen explizit als „grundlegend gegen soziale Ziele gerichtet“ einstuft. Diese Definition ist ähnlich eng gefasst wie die Definition im schweizerischen Gesetz, sodass die Möglichkeit besteht, dass nicht-militärische Feuerwaffen zur Erreichung anderer sozialer Ziele, wie dem Schutz der Menschenrechte, beitragen können.

Bislang scheint die Stimmung gegen Waffen zu stark zu sein, um kurzfristig nachhaltige Veränderungen in den Portfolios zu bewirken. Mehr Waffen sind letztlich keine Garantie für eine sicherere und friedlichere Gesellschaft. Angesichts der engen Verbindung zwischen hohen Raten von Waffengewalt und schwachen Waffenkontrollgesetzen ist vermutlich sogar das Gegenteil der Fall. Wer in börsennotierte Unternehmen investiert, hat nie eine Garantie, dass die Waffen, die diese Unternehmen gegebenenfalls verkaufen, nur für „gute Zwecke“ eingesetzt werden. Und niemand kann kontrollieren, wo die Waffen schlussendlich landen. Auch wenn SDG 16 schwer zu realisieren sein mag, kann das oberste Ziel nicht ignoriert werden: „Alle Formen der Gewalt und die gewaltbedingte Sterblichkeit überall deutlich verringern“.

Neue Debatten, neue Perspektiven

Wie bei vielen Themen, bei denen es um eine Abwägung zwischen möglichen positiven und negativen Ergebnissen geht, wird diese Debatte zwangsläufig früher oder später wieder geführt werden. Allgemein anerkannte Ansichten werden dadurch auf den Prüfstand gestellt. Diese Debatte selbst ist schon wertvoll, egal, ob wir anderer Meinung sind oder glauben, anderer Meinung zu sein.

Das Abwägen unterschiedlicher Standpunkte zwingt uns, auf Veränderungen in der Welt zu achten und immer neu zu überprüfen, ob unsere Entscheidungen noch richtig und evidenzbasiert sind. Aus diesem Prozess gehen wir entweder in unseren Überzeugungen gestärkt hervor – oder mit einer neuen, pragmatischeren Sichtweise.