12-05-2021 · Einblick

Ein neuer Frühling für Value-Investments

Auch wenn günstig bewertete Aktien in letzter Zeit kräftig im Kurs gestiegen sind, glauben wir, dass der Aufschwung im Value-Segment noch eine Weile anhält. Die Bewertungsunterschiede zwischen Growth- und Value-Aktien sind nach wie vor hoch. Gleichzeitig haben sich die Fundamentaldaten und die Stimmung im Value-Segment in den letzten Monaten verbessert. So erleben Value-Investments nach einem langen und harten „Winter“ einen neuen Frühling und scheinen vor einer Blüte zu stehen.

    Autoren/Autorinnen

  • Matthias Hanauer - Researcher

    Matthias Hanauer

    Researcher

  • Sebastian Schneider - Researcher

    Sebastian Schneider

    Researcher

Das seit langem erwartete Comeback des Faktors Value wurde durch die Ankündigung eines erfolgreichen Impfstoffs gegen Covid-19 von Pfizer-BioNTech am 9. November 2020 ausgelöst. Dies zog eine sehr gute Wertentwicklung des Value- Factors im ersten Quartal 2021 nach sich. Ungeachtet des Kursaufschwungs sind die Bewertungsunterschiede zwischen teuren und günstigen Aktien weiterhin außergewöhnlich hoch. Wie Grafik 1 zeigt, liegt die Diskrepanz bei Zugrundelegung eines optimierten Value-Faktors sogar noch höher als auf dem Höhepunkt der Technologieblase in den späten 1990er Jahren. 1

Grafik 1 | Kombinierter Bewertungs-Spread der Enhanced Value-Strategie

Grafik 1 | Kombinierter Bewertungs-Spread der Enhanced Value-Strategie

Quelle: Refinitiv. Die Grafik zeigt den kombinierten Bewertungs-Spread zwischen den obersten und untersten Quintil-Portfolios der Enhanced Value-Strategie. Das Anlageuniversum umfasst die Bestandteile der MSCI-Indizes für entwickelte und aufstrebende Länder. Vor 2001 nutzten wir für entwickelte Länder den FTSE World Developed (bestehend seit Dezember 1985) und für aufstrebende Länder die 800 größten Bestandteile des S&P Emerging BMI zum Zeitpunkt des halbjährlichen Index-Rebalancing (verfügbar seit Dezember 1995).

Value-Investing bleibt aus Bewertungsperspektive sehr attraktiv

Wir sind der Ansicht, dass die jüngste Ausweitung der Bewertungsdifferenz mehrere Implikationen hat. Erstens ist die zunehmende Bewertungsdifferenz zwischen teuren und günstigen Aktien nicht konsistent mit der Befürchtung, dass die Value-Prämie im Zuge von Arbitrage verschwunden sei, weil sie allgemein bekannt sei und es zu erheblichen Mittelzuflüssen in Value-Strategien gekommen sei. Wäre dies der Fall, würde sich dies in einer Einengung der Bewertungsdifferenz im Zeitverlauf niederschlagen, nicht in einer Ausweitung, wie sie zu beobachten war. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass Arbitrage-Aktivitäten der maßgebliche Faktor für die Underperformance von Value-Strategien in letzter Zeit waren.

Zweitens sprechen die Bewertungsdifferenzen dafür, dass Value-Titel derzeit sehr gute Renditeaussichten haben. Auf den Anstieg der Bewertungsdifferenzen in den späten 1990er Jahren folgte eine Rückkehr zum Durchschnittswert Anfang der 2000er Jahre. Dies führte zu einer großen Outperformance von Aktien mit günstiger Bewertung gegenüber teureren.

Drittens bedeutet die per saldo erfolgte Ausweitung der Bewertungsdifferenz im gesamten Betrachtungszeitraum, dass die realisierten Erträge eventuell das tatsächliche Ausmaß der Value-Prämie in dieser Zeit unterschätzen.2

Betrachtet man die jüngsten Entwicklungen in Grafik 1, dann erkennt man, dass sich der Value-Spread im laufenden Jahr etwas eingeengt hat. Im historischen Vergleich ist er allerdings noch erheblich und liegt nach wie vor oberhalb des 97. Perzentils. Von daher glauben wir, dass Value-Investing aus Bewertungsperspektive sehr attraktiv bleibt.

Günstige Bewertung nicht sachlich begründet

Eine offene Frage ist die, ob sich die Dinge diesmal anders verhalten und Value-Aktien aus gutem Grund günstiger sind, als dies in der Vergangenheit zu beobachten war. Möglicherweise sind hoch bewertete Unternehmen (auf Basis einfacher Bewertungskennziffern) heute wesentlich profitabler als früher (beispielsweise im Vergleich zur Dotcom-Blase) oder ihr erwartetes langfristiges Wachstum könnte wesentlich höher ausfallen.

Grafik 2 zeigt die Differenz des operativen Erfolgs (näherungsweise gemessen an der Bruttoprofitabilität - GP/A)3 zwischen günstigen und teuren Unternehmen. Im Durchschnitt weisen günstig bewertete Aktien – gemäß Definition der Enhanced Value-Strategie – auf globaler Ebene dieselbe Profitabilität auf wie hochbewertete Titel.4

Zugegebenermaßen waren günstig bewertete Aktien im Zeitraum zwischen 2017 und 2020 weniger profitabel. Allerdings hat sich ihre Profitabilität in den letzten Monaten beträchtlich erhöht. Tatsächlich waren Ende März 2021 günstige Aktien etwas profitabler als teure Titel. Daher kann die derzeitige Bewertungsdifferenz nicht durch unterschiedliche Profitabilität gerechtfertigt werden.

Grafik 2 | Spread der Brutto-Profitabilität bei der Enhanced Value-Strategie

Grafik 2 | Spread der Brutto-Profitabilität bei der Enhanced Value-Strategie

Quelle: Refinitiv. Die Grafik zeigt den Spread der Brutto-Profitabilität zwischen den obersten und untersten Quintil-Portfolios der Enhanced Value-Strategie. Das Anlageuniversum umfasst die Bestandteile der MSCI-Indizes für entwickelte und aufstrebende Länder. Vor 2001 nutzten wir für entwickelte Länder den FTSE World Developed (bestehend seit Dezember 1985) und für aufstrebende Länder die 800 größten Bestandteile des S&P Emerging BMI zum Zeitpunkt des halbjährlichen Index-Rebalancing (verfügbar seit Dezember 1995).

Außerdem basiert die aktuelle Profitabilität im Wesentlichen auf einer Rückschau. Was aber ist mit den zukünftigen Wachstumserwartungen? Wenn die Profitabilität dieselbe ist wie aktuell, dann sollten Aktien mit höherem erwarteten Wachstum auf höheren Bewertungsniveaus gehandelt werden.

Bei günstigen Aktien sind die Wachstumserwartungen tendenziell geringer als bei teuren. Das erklärt weshalb Letztere auch als „Wachstumstitel“ bezeichnet werden. Jedoch sind die relativen Wachstumserwartungen derzeit nicht niedriger als in den letzten 15 Jahren – insbesondere in den entwickelten Ländern. So lässt sich die Ausweitung des Value-Spreads in den letzten drei Jahren nicht auf eine Verschlechterung der Wachstumserwartungen bei Value-Aktien zurückführen.

Marktstimmung für Value-Titel erhält einen Schub

Die Erholung im Value-Segment in jüngster Zeit hat zu einer verbesserten Stimmung gegenüber Value-Aktien geführt. Das Kursmomentum – gemessen an der Wertentwicklung einer Aktie in den letzten 6-12 Monaten – ist eine Methode zur Messung der Marktstimmung. Zwar sind die Faktoren Value und Momentum tendenziell negativ miteinander korreliert – weshalb eine Kombination daraus Diversifikationsvorteile bietet. Allerdings gab es in der Vergangenheit auch einige Phasen, in denen Value-Aktien ein starkes Momentum aufwiesen. Wir rechnen damit, dass dies in den nächsten Monaten ebenfalls der Fall sein wird.

Abbildung 3 zeigt den Unterschied zwischen der Median-Wertentwicklung über sechs Monate von Value- und Growth-Aktien. Die Differenz hat sich in den letzten Monaten aus dem sehr negativen Bereich in den positiven Bereich verschoben. Da die meisten Momentum-Strategien Maße für das Kursmomentum über 6-12 Monate verwenden und die Wende zugunsten von Value-Aktien erst vor rund sechs Monaten begonnen hat, müssen sie erst noch in erheblichem Umfang Value-Titel kaufen. Allerdings ist zu erwarten, dass sie nun in größerem Stil Value-Aktien kaufen, da sich der strukturelle Wandel am Markt eindeutig in den Kennzahlen für das Kursmomentum widerspiegelt.

Grafik 3 | Spread beim Momentum (6-0) der Enhanced Value-Strategie

Grafik 3 | Spread beim Momentum (6-0) der Enhanced Value-Strategie

Quelle: Refinitiv. Die Grafik zeigt den Spread des Kursmomentums (6-0) zwischen den obersten und untersten Quintil-Portfolios der Enhanced Value-Strategie. Das Anlageuniversum umfasst die Bestandteile der MSCI-Indizes für entwickelte und aufstrebende Länder. Vor 2001 nutzten wir für entwickelte Länder den FTSE World Developed (bestehend seit Dezember 1985) und für aufstrebende Länder die 800 größten Bestandteile des S&P Emerging BMI zum Zeitpunkt des halbjährlichen Index-Rebalancing (verfügbar seit Dezember 1995).

Current sentiment is in favor of value

Eine andere Methode zur Messung der Stimmung besteht in der Betrachtung der Gewinnrevisionen der Aktienanalysten. Analysten neigen dazu, bei teuren Aktien mehr positive Gewinnrevisionen als bei günstig bewerteten vorzunehmen. In den letzten Monaten jedoch fielen die Revisionen der Analystenerwartungen für den Gewinn pro Aktie bei Value-Aktien so optimistisch aus wie noch nie in der jüngeren Geschichte. Obwohl noch abzuwarten bleibt, ob sich die Gewinnerwartungen der Analysten bestätigen, begünstigt die aktuelle Stimmung den Faktor Value.

Insgesamt erleben Value-Investments nach einem langen und harten Winter einen neuen Frühling und scheinen vor einer Blüte zu stehen.

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Fußnoten

1Die Enhanced Value-Strategie basiert auf einer Kombination der Kennzahlen Kurs/Buchwert-Verhältnis (R&D-adjustiert), EBITDA/EV, Cashflow/Kurs-Verhältnis und Netto-Dividendenrendite. Value-Aktien werden auf Basis ihrer Bewertungs-Kombination auf branchen- und regionen- bzw. länderneutrale Weise in Quintil-Portfolios unterteilt. Die Quintil-Portfolios werden gleichgewichtet und monatlich neu gebildet. Im Detail beschrieben wird die Enhanced Value-Strategie in “‘Resurrecting the Value Premium’.” von D. Blitz und M. Hanauer, in: Journal of Portfolio Management, Januar 2021.
2Siehe auch unsere Analyse im Papier ‘Resurrecting the Value Premium’.
3GP/A steht für Gross Profit to Assets.
4Auf alleiniger Basis des Buch/Marktwert-Verhältnisses wäre die Differenz für eine Value-Strategie negativ. Bei der Enhanced-Value-Strategie ist die Differenz weniger ausgeprägt oder überhaupt nicht gegeben, da die Strategie auf einer Kombination von Bewertungskennziffern basiert, welche Gewinngrößen wie das EBITDA und den Cashflow im Zähler verwenden.