11-01-2021 · Einblick

Factor Investing in der Debatte: Läuten Big Data und KI eine neue Ära für Quant-Investing ein?

Factor Investing basiert auf veröffentlichten empirischen Studien aus mehreren Jahrzehnten. Um sich im Wettbewerb abzuheben, investieren Assetmanager beträchtliche Ressourcen in eigenes Research, beispielsweise um Faktordefinitionen zu verbessern oder die Portfoliokonstruktion zu optimieren. In diesem Zusammenhang erwarten einige Beobachter, dass Instrumente wie Alternative Data oder Künstliche Intelligenz (KI) völlig neue Verhältnisse schaffen. Trifft das aber wirklich zu?

Neue Instrumente wie Big Data und Alternative Data, KI1 und Cloud Computing haben sich als wichtige Entwicklungen für die Finanzbranche erwiesen. Eine 2019 durchgeführte Umfrage der Bank of England und der britischen Financial Conduct Authority ergab, dass zwei Drittel aller britischen Finanzunternehmen bereits Maschinelles Lernen nutzen.2 Viele davon erwarteten, dass sich die Einsatzbereiche dafür in den nächsten drei Jahren mehr als verdoppeln werden.

Im Bereich Asset Management haben sich zwar bereits zahlreiche Anbieter öffentlich positiv über diese Innovationen geäußert, doch lag der Fokus der praktischen Anwendungen bislang auf Bereichen wie Prozessautomatisierung sowie Vertrieb und Marketing. In anderen Gebieten, insbesondere im Investmentbereich, steht eine breite Nutzung dieser Innovationen noch aus.

Laut einer 2019 durchgeführten Umfrage des CFA Institute unter globalen Investmentexperten3 hatten lediglich 10 % der teilnehmenden Fondsmanager bereits KI- oder ML (Machine Learning)4-Technologien in den vorangegangenen zwölf Monaten zur Verbesserung ihres Investmentprozesses eingesetzt. Dagegen gaben fast die Hälfte der Befragten an, dass sie Regressionsanalysen zur Ermittlung eines linearen Zusammenhangs verwendet hatten.

Doch während die meisten dieser Technologien sich noch in ihrem Anfangsstadium befinden, haben immer mehr Anbieter, vor allem (aber nicht nur) Hedgefonds – bedeutende Schritte unternommen, um zu analysieren, wie die Entwicklung besserer quantitativer Anlagestrategien genutzt werden können. Dies kündet nach Aussage einiger Experten „die nächste Welle des Quant Investing” an.

Wir bei Robeco beispielsweise haben in den letzten Jahren beträchtliche Mittel investiert, die zu konkreten Fortschritten bei der Integration dieser innovativen Technologien in unsere Investmentprozesse führen. Ein Musterbeispiel ist das „News Sentiment Signal“, das aus einer fortschrittlichen ereignisbasierten Textanalyse abgeleitet wird und mittlerweile dazu genutzt wird, den Momentum-Faktor im Rahmen unserer quantitativen Aktienstrategien zu verbessern.5

Andere Einsatzbereiche von KI sowie Alternative und Big Data, die von Assetmanagern und anderen Anbietern von Investmentservices genannt werden, umfassen die Analyse von Telefonkonferenzen zur Gewinnberichterstattung, Prognosen von Aktienhandelsvolumina und die Nutzung öffentlich zugänglicher räumlicher Daten zur Schätzung lokaler Marktanteile in der Zuschlagstoffbranche (Abbau von Sand, Kies und Schotter zur Betonproduktion).6

Für Anleger stellt sich hier jedoch die wichtige Frage: Sind diese Instrumente lediglich als Erweiterung traditioneller Ansätze bei quantitativen Investments zu betrachten, die sich vorwiegend auf jahrzehntelanges empirisches Research zu Faktoren stützen und Signale wie Bilanzdaten, Analystenschätzungen und historische Preise von den Aktien-, Anleihen-, Options- oder Kreditmärkten verwenden? Oder bedeuten sie, dass die Antriebsfaktoren hinter den meisten bestehenden quantitativen Strategien Gefahr laufen, obsolet zu werden?

Innovationsenthusiasten vertreten natürlich die Ansicht, dass das Letztere zutrifft.7 Eine übliche Erklärung ist die, dass in einer Welt, in der die meisten aktiven quantitativen Manager Zugang zu denselben Daten wie Aktienkursen oder makroökonomischen Fundamentaldaten haben und dieselben Methoden anwenden (darunter klassische lineare Regressionsanalyse und Mean Variance-Optimierungen), solche Techniken heute den einzigen Weg darstellen, sich von Marktindizes und direkten Wettbewerbern abzugrenzen.

Am anderen Ende des Spektrums vertreten Skeptiker die Ansicht, dass diese Innovationen zwar zu marginalen Verbesserungen an bestehenden Anlagestrategien imstande sein mögen, doch mit einer gewissen Vorsicht betrachtet werden sollten8. Demnach stellen sie traditionellere und transparente quantitative Investmentansätze nicht grundsätzlich in Frage.

Solche Skeptiker argumentieren häufig, dass eine solide Anlagestrategie zwar umfangreiche empirische Tests und Falsifikationsversuche bei großen Datensätzen und über längere Zeiträume erfordert, dass es jedoch nur vereinzelte Evidenz für den Einsatz von Big Data und Alternative Data gibt. Alternative Datensätze besitzen allgemein nur eine sehr kurze Historie und es mangelt ihnen häufig an der notwendigen Breite und Qualität, um verlässliche Schlüsse daraus zu ziehen.9 Mitunter ist es sogar fraglich, ob der Datenanbieter in fünf oder zehn Jahren noch existiert.

Ein weiterer verbreiteter Kritikpunkt ist die mangelhafte Differenzierbarkeit oder Prüfbarkeit von KI-Algorithmen und Machine Learning-Modellen.10 Infolgedessen mangelt es Anlagestrategien die sich hauptsächlich auf solche Techniken stützen, häufig auch an der notwendigen klaren ökonomischen Begründung, die normalerweise für traditionellere quantitative Ansätze erforderlich ist.

Ziel: den Wettbewerbern voraus zu bleiben

Dies illustriert den Zwiespalt, vor dem Assetmanager stehen, wenn sie ihren Vorsprung wahren wollen: Entweder sie halten an bewährten Methoden fest und riskieren am Ende obsolet zu werden, oder sie akzeptieren den Wandel und riskieren einen falschen Schritt in Richtung einer trügerischen Innovation. Verschärft wird dieses Dilemma durch die in letzter Zeit enttäuschende Wertentwicklung diverser allgemein akzeptierter Faktoren, insbesondere des Faktors Value.

Die derzeitige Schwäche hatte dafür gesorgt, dass etablierte quantitative Manager sehr kritisch beäugt werden, da sich viele Anleger fragen, ob Factor Investing möglicherweise eine komplette Neuausrichtung benötigt. Unterdessen sind jedoch die tatsächlichen Anlageergebnisse der meisten konsequenten Verfechter von KI und Alternative Data weiterhin überwiegend wenig eindrucksvoll.11

Damit gibt es für Anleger zumindest bis auf weiteres keine offensichtliche leistungsfähige Alternative zu eher traditionellen Faktoren. Natürlich können sich die Dinge ändern, wenn die für Investoren verfügbaren alternativen Datensätze im Zeitablauf zwangsläufig besser werden und KI-Algorithmen verlässlich genug werden könnten, um für sich genommen zur Erzielung einer langfristigen Outperformance imstande zu sein.

In der Vergangenheit waren die Probleme im Zusammenhang mit den heute allgemein von quantitativen Assetmanagern genutzten Datensätzen ähnlich denjenigen, die heute im Hinblick auf Big Data und Alternative Data bestehen. Im Lauf der Jahre hat sich die Qualität, Breite und Historie dieser Datensätze verbessert, sodass sie besser verwendet werden können. Im Zeitverlauf und mit der Verfügbarkeit von mehr Daten werden wahrscheinlich auch Big Data und Alternative Data zunehmend verwendbar werden.

Gleichzeitig bestätigen immer mehr akademische Forschungsergebnisse, dass KI-Techniken bei der Verbesserung von Anlagestrategien hilfreich sein können.12 Wenn auch Maschinen wahrscheinlich Menschen niemals vollständig ersetzen werden können, können Sie – unter menschlicher Kontrolle – bei der Identifikation und Erläuterung neuer Muster hilfreich sein. Außerdem können Maschinen die Skalierbarkeit der Erstellung von Researchmaterialien deutlich erhöhen.

Was sollten Anleger in dieser Hinsicht tun?

Letztlich sollten Anleger offen für neue Ideen bleiben. Das grundlegende Problem besteht für sie möglicherweise nicht zwangsläufig in der Wahl zwischen dem einen Ansatz oder dem anderen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, vom Festhalten an traditionellen Kurs- und Rechnungslegungsdaten am einen Ende des Spektrums bis zur vollständigen Nutzung von Informationsquellen wie Satellitenfotos von Parkplätzen und Deep Learning-Algorithmen.

Die Antwort könnte durchaus auch darin bestehen, eine Mischung aus Informationsquellen zu verwenden. Zum Beispiel könnten Big Data- und KI-Signale für fundamental orientierte Anleihen- und Aktienanalysten sehr nützlich sein. Dies würde sich dann in unseren quantitativen Strategien niederschlagen, die Analystenrevisionen berücksichtigen. In diesem Fall würden wir indirekt Big Data- und KI-Informationen nutzen. Grafik 1 zeigt im Überblick, wie führende Assetmanager solche fortschrittlichen Analysetechniken nutzen.

Grafik 1: Neue Quellen von Investmentresearch für Assetmanager

Grafik 1: Neue Quellen von Investmentresearch für Assetmanager

Quelle: S. Doshi, J.-H. Kwek und K. Lai, „Advanced analytics in asset management: Beyond the buzz”, Artikel von McKinsey & Company, 20. März 2019.

Dessen ungeachtet bleibt es wichtig sich daran zu erinnern, dass Innovationen zwar hilfreich sein können, aber mit Sorgfalt und Verstand genutzt werden sollten. Grundprinzipien wie die Sicherstellung, dass Anlageentscheidungen stets evidenzbasiert sind, umsichtig und mit einer klaren ökonomischen Begründung erfolgen, sollten stets berücksichtigt werden - selbst wenn man fortschrittliche Techniken wie Alternative Data oder KI in Betracht zieht.

Mehr Geschichten

Könnten Faktorprämien verschwinden?
Sollte man seine Faktor-Exposures „timen“?

Bleiben Sie in Bezug auf Einsichten zu Quantitative Investing auf dem Laufenden.

Receive our Robeco newsletter and be the first one to get the latest insights, or build the greenest portfolio.

Jetzt anmelden