Was ist das Wichtigste, auf das man 2022 achten muss?
„Im Jahr 2022 werden zwei Dinge von besonderer Bedeutung sein und sollten genau im Blick behalten werden: China und die Inflation. Es ist offensichtlich, dass sich die chinesische Wirtschaft abschwächt, ausgehend vom Immobiliensektor. Eine Rolle spielt dabei auch die Rationierung von Strom. So werden einige Fabriken aufgrund der staatlichen Bemühungen um Dekarbonisierung geschlossen. Es ist wichtig zu verstehen, wie sich diese Abschwächung auf die übrige Weltwirtschaft auswirkt. Denn auch wenn der Westen sich in einer robusten wirtschaftlichen Lage befindet, ist die chinesische Konjunktur von großer Bedeutung. Jede Änderung bei ihrer Wachstumsdynamik wirkt sich auf die Weltwirtschaft aus. Zu bedenken ist, dass ein Großteil der Rohstoffe und Inputs auf der Welt nach China gehen und einer Beschleunigung des chinesischen Wirtschaftswachstums auch das globale Wachstum beflügelt. Da Chinas Wachstum derzeit nachlässt, erwarten wir daher, dass dies auch das globale Wachstum beeinflusst. Diesen Zusammenhang muss man genau im Blick behalten.“
„Der zweite Aspekt ist natürlich die Inflation. Wir werden wahrscheinlich im nächsten Jahr Klarheit darüber erhalten, ob die beschleunigte Teuerung vorübergehend ist oder tatsächlich ein eher dauerhaftes Phänomen geworden ist. Bis dahin wird dieses Thema Gegenstand der Diskussion bleiben. Für uns ist der Inflationspfad aus zwei Gründen wichtig. Zum einen ist er aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive von Bedeutung, und die Notenbanken werden darauf reagieren. Zum anderen ist es für uns als Anleiheninvestoren wichtig zu verstehen, was sich daraus für einzelne Emittenten ergibt. So war beispielsweise bei einigen Unternehmen aus der Automobilbranche zu beobachten, dass sie unter gestiegenen Inputpreisen oder Chipknappheit leiden. Aktuell macht sich auch ein knappes Angebot an Magnesium und Gummi bemerkbar. In vielen Sektoren kommt es zu einem Anstieg der Importpreise. Nicht alle Firmen werden in der Lage sein, diese weiterzureichen und müssen daher mit sinkenden Margen rechnen. Für Anleiheninvestoren ist es wichtig zu erkennen, wie die Unternehmen in dieser Hinsicht positioniert sind, da die unternehmensspezifischen Risiken in einem solchen Umfeld steigen.“
„Für eine bedeutende Veränderung wird im nächsten Jahr sorgen, dass es für die Konjunktur keine umfangreiche politische Unterstützung mehr geben wird. Die Anreizmaßnahmen von Regierungen und Notenbanken waren in den Jahren 2020 und 2021 so enorm, dass es fast unerheblich war, wo man investierte. Die Unternehmen kamen gut davon – sie wurden gerettet, in dem man ihnen Unterstützung zukommen ließ. Wenn die Notenbanken ihre Programme zur Ausweitung der Geldmenge beenden, was der Fall sein wird, dann wird diese Unterstützung auslaufen. Für einen aktiven Manager wie uns stellt es eine gute Nachricht dar, dass die Phase der finanziellen Repression ein Ende findet. Für die Finanzmärkte insgesamt mag das ein schwierigeres Jahr mit sich bringen, in dem es zu verstärkten Kursschwankungen und höheren Risikoprämien kommen könnte. Auch wenn die Gesamterträge infolgedessen niedriger ausfallen könnten, werden Manager, die imstande sind, die richtigen Assets auszuwählen, den Markt schlagen können.
Was war die größte Veränderung, die Sie seit Beginn der Coronavirus-Krise beobachtet haben und die sich im Jahr 2022 und darüber hinaus weiter auswirken könnte?
„Meines Erachtens stellt es eine der Entwicklungen während der Coronavirus-Krise dar, dass die Regierungen wieder die Kontrolle über die Wirtschaft übernommen haben. Zuvor hatten wir ein ziemlich neoliberales Umfeld und der Glaube an den Markt hatte religiöse Züge. Doch der Markt versagt typischerweise in einer großen Krise, weshalb die Regierungen einspringen mussten, um das Überleben der Unternehmen zu gewährleisten und die Beschäftigung aufrechtzuerhalten. Ich glaube, dass die Regierungen dabei festgestellt haben, wie mächtig und einflussreich sie sein können. Es würde mich nicht überraschen, wenn wir uns auf ein neues Regime zubewegen würden, in dem die Regierungen häufiger die Kontrolle übernehmen und an den Märkten intervenieren. Denn daneben droht eine weitere Krise: die Klimakrise. Sie rückt rasch näher und auch in diesem Fall erwarte ich, dass die Regierungen weit mehr tun werden, um die Kontrolle zu übernehmen. Das stellt eine neue Aussicht für Anleger dar, dass wir uns etwas von der Marktwirtschaft und dem Neoliberalismus wegbewegen.“
„Eine weitere Auswirkung, die von Dauer sein dürfte, ist eher auf der Unternehmensebene angesiedelt. Wir haben gesehen, wie verletzlich die globalen Lieferketten und das Just-in-Time-Management sind. In vielen Sektoren sind Angebotsverknappungen zu beobachten. Es ist deutlich geworden, wie wenige Anbieter es für kritische Inputs gibt und wie sehr die Weltwirtschaft bei vielen Produkten von China abhängig ist. Aus meiner Sicht wird es einen Trend hin zu mehr Insourcing bei bestimmten strategisch wichtigen Rohstoffen geben. Anders gesagt, wird es zu Veränderungen bei den globalen Lieferketten kommen müssen. Entscheidend ist, dass es bei diesen Änderungen Gewinner und Verlierer geben wird. Es liegt an uns, diese im Rahmen unseres Anleihenauswahlprozesses zu identifizieren.“
Wo sind Sie mit Ihrem Ansatz am meisten vom Konsens entfernt?
„Unser Ansatz besteht stets darin, verhaltensbedingte Biases möglichst zu vermeiden. Tatsächlich ist es unser Ziel, solche Biases auszunutzen. Wichtig ist, dass die Art und Weise, mit der wir verhaltensbedingte Biases ausnutzen, von dem Anleihensegment abhängt, in das wir investieren. Der durchschnittliche Anleger legt beispielsweise im Bereich Investment Grade den Fokus auf die Risikovermeidung. Aus dieser Risikoaversion ergibt sich, dass Investment Grade-Anleger typischerweise Anleihen verkaufen, die ihres Erachtens Gefahr laufen, in den High Yield-Bereich herabgestuft zu werden. Dabei kommt es häufig zu Übertreibungen dergestalt, dass diese Anleihen tendenziell überverkauft werden. Im Investment Grade-Segment zielt unser konträrer Ansatz darauf ab, eine Value-Strategie zu verfolgen und Ausschau nach Anleihen zu halten, bei denen es zu einer Normalisierung kommen könnte.“
„Im High Yield-Bereich ist genau das Gegenteil zu beobachten. Dort sind viele Manager risikofreudig und suchen nach Anleihen mit noch höheren Erträgen. Infolgedessen tendieren sie dazu, für Risiko zu viel zu bezahlen. Wenn der Renditespread einer Anleihe aus ihrer Sicht zu gering geworden ist, neigen diese Manager dazu, sie zu verkaufen und in renditestärkere Anleihen umzuschichten. Dann zahlt sich eine konservative Strategie aus, mit der man von diesem Bias profitieren kann. So könnte eine Anleihe mit einem Rating im oberen BB-Segment im Jahr darauf in den BBB-Bereich heraufgestuft werden und kann daher nach wie vor unter Risiko/Rendite-Aspekten noch erhebliches Kurspotential aufweisen.“
„Das erklärt, weshalb wir im Investment Grade-Bereich eher eine Value-Strategie verfolgen und im High Yield-Segment eine konservativere Strategie. In beiden Fällen nutzt unser Ansatz denselben verhaltensbedingten Bias aus.
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Was wird 2022 für die größte Veränderung sorgen?
„Die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) wird neue Voraussetzungen schaffen und sich auf alle Fondsmanager auswirken. Sie ist Teil des Trends hin zu mehr Nachhaltigkeit in Europa und weltweit. Um diese regulatorischen Vorschriften einzuhalten, müssen Anleger nicht nur auf die Wertentwicklung achten, sondern auch auf die Nachhaltigkeitseffekte ihrer Portfolios. Ein zentrales Element davon ist im Hinblick auf die Verpflichtungen im Rahmen des Klimaabkommens von Paris die Dekarbonisierung, zusammen mit der Notwendigkeit, über die Fortschritte zu berichten. Diese Entwicklungen werden sowohl die Finanzmärkte als auch die Art und Weise verändern, auf die wir unsere Kunden über die Wertentwicklung informieren.“
„Während klimabezogene Vorschriften strenger werden, ist mit einem Anstieg von CO2-Steuern, Importzöllen auf CO2-intensive Produkte sowie einem vollständigen Wandel der Art und Weise zu rechnen, auf die Unternehmen Produkte entwickeln und herstellen.
All das bedeutet für das Asset Management und für die Unternehmen, in die wir investieren, einen fundamentalen Wandel. Um in diesem Umfeld gut abzuschneiden und für die Kunden die richtigen Resultate abzuwerfen, muss die Anlagebranche geeignete Fähigkeiten und Methoden entwickeln – und sicherstellen, dass man über den „Portfoliomanager 2.0“ verfügt, wie wir es gern nennen.“
Worin besteht Ihre persönliche Inspiration, die Ihnen dabei hilft, das nächste Jahr zu bewältigen?
„Mit Blick auf das nächste Jahr besteht eine der bedeutendsten Inspirationen für mich darin, zu wissen, dass das Ende der finanziellen Repression näher rückt. Als aktiver Manager bin ich extrem erleichtert, dass wir endlich in diese Phase eintreten. Es war schwierig, die letzten 18 Monate zu bewältigen. Es schien, als sei es gleichgültig, welche Anlagen man kauft, da die Regierungen dafür sorgten, dass es zu keinen Ausfällen kommt. Das ist kein ideales Umfeld für einen aktiven Manager. Ich glaube, dass sich das bald ändert und dass die Märkte wieder zwischen guten und schlechten Anleihen unterscheiden werden. Das bedeutet, dass sich unser Research im Jahr 2022 letztlich wieder auszahlen wird. Das macht meine Aufgabe, die besten Anlagen ausfindig zu machen, wesentlich spannender.“