22-06-2020 · Einblick

Factor Investing-Debatte: Sollte man seine Faktor-Exposures „timen“?

Die Debatte darüber, ob Anleger bei ihren Faktor-Exposures ein taktisches Timing vornehmen sollten, hat schon kurz nach Entdeckung der Faktoren eingesetzt. Angesichts des zyklischen Charakters von Faktorprämien sollte ein erfolgreiches Timing in der Theorie sehr attraktive Renditen abwerfen. In der Praxis allerdings erweist sich dies als weit komplizierter.

Wie wir im ersten Artikel dieser Serie erläutert haben, schwanken die Faktorprämien im Zeitverlauf. Auf einen einzigen Faktor ausgerichtete Portfolios können Phasen unter- oder überdurchschnittlicher Wertentwicklung durchlaufen, die mehrere Jahre anhalten können. Beispielsweise entwickelten sich Small Caps und Value-Aktien in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre relativ schlecht, während Technologietitel mit Wachstumscharakteristik Rekordhochs erreichten.

Diese ausgeprägten Schwankungen im Zeitverlauf lassen ein Timing bei Faktor-Investments verführerisch erscheinen. Jedoch ist es alles andere als einfach, in diesem Bereich aktiven Managements erfolgreich zu sein. Zum einen sind die genauen Ursachen für die genannten Schwankungen nach wie vor strittig. Während die Entwicklung von Faktoren von den makroökonomischen Rahmenbedingungen abzuhängen scheint, hat sich der Zusammenhang zwischen den Faktorprämien und vielen wichtigen Konjunkturindikatoren über längere Zeiträume als instabil erwiesen.1

Daneben wirken sich weitere Elemente ebenfalls aus. Beispielsweise können Angebots- und Nachfrageaspekte eine Rolle spielen, da einzelne Faktorstrategien zu einem gegebenen Zeitpunkt sehr gefragt sein können, während andere in Ungnade fallen. Zahlreiche empirische Untersuchungen haben ein verbreitetes Herdenverhalten nachgewiesen, sowohl was das Umschichten in populäre Faktorstrategien angeht als auch die Abwendung von unpopulären Strategien.2

In der Forschungsliteratur wird sowohl auf eine positive Autokorrelation der Zeitreihen von Faktorprämien – anders gesagt das Faktor-Momentum – hingewiesen als auch auf starke Schwankungen der Bewertung von Einzelfaktor-Strategien im Zeitverlauf.3 Anhand dieser beiden gut dokumentierten Phänomene könnte man theoretisch ein taktisches Timing von Faktor-Exposures vornehmen.

Jedoch besteht möglicherweise einer der populärsten Timing-Ansätze darin, die relative Bewertung unterschiedlicher Einzelfaktor-Portfolios anhand klassischer Bewertungsmaße wie Kurs/Buchwert-Verhältnis oder Kurs/Gewinn-Verhältnis zu betrachten. Der Grundgedanke ist der, dass man das Engagement in Faktoren erhöht, die mit einem Bewertungsabschlag gegenüber dem historischen Durchschnitt notieren, und das Exposure gegenüber Faktoren senkt, deren Bewertungen im historischen Vergleich hoch sind.4

Kritiker dieses Ansatzes haben dargelegt, dass die simulierten Anlageergebnisse bei dieser Strategie nicht sonderlich gut ausfallen und zu stark mit konventionellen Value-Faktorstrategien korreliert sind.5 Hinzu kommt, dass unterschiedliche Bewertungsmaße häufig widersprüchliche Schüsse zulassen. Infolgedessen sollten Anleger im allgemeinen auf ein Timing von Faktoren verzichten, von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Die hitzige Debatte zwischen Rob Arnott von Research Affiliates und Cliff Asness von AQR ist ein Musterbeispiel dafür.6 Während Arnott seit langem ein Faktor-Timing auf Basis der relativen Bewertungen verschiedener Faktoren befürwortet hat, hat Asness stets vor den Gefahren und den ungewissen Nutzen solcher taktischer Manöver gewarnt.

Ebenfalls schwierig erscheint ein Timing von Faktoren allein auf Grundlage ihrer Renditen in der Vergangenheit.7 Allerdings nehmen Studien aus jüngerer Zeit eine neue Perspektive ein und dokumentieren sehr gute Ergebnisse für Faktor-Momentum. Die wesentliche neue Erkenntnis besteht darin, einen sehr kurzen Rückschauzeitraum von nur einem Monat heranzuziehen und ihn auf Dutzende von Faktoren anzuwenden.8

Untersuchungen von Robeco bestätigen diese Ergebnisse, zeigen aber auch, dass die erfolgreiche Ausnutzung dieser Art Faktor-Momentum eine vollständige Integration in den Bottom-Up-Aktienauswahlprozess der Faktorstrategien selbst erfordert.9 Ein simpler Ansatz in Bezug auf das Faktor-Momentum – nämlich die Rotation über eine Handvoll Einzelfaktor-Portfolios anhand von Momentumsignalen – ist zu ungenau und kostenträchtig, um sich auszuzahlen.

Natürlich sind die Dinge nie ganz schwarz oder weiß. Nach Monaten intensiver öffentlicher Debatte haben sich die führenden Vertreter beider Lager – für Faktor-Timing und dagegen – versöhnlicher geäußert. Während die eine Seite anerkennt, dass Faktor-Timing nur zeitweise funktioniert, konzediert die andere, dass Timing in einigen wenigen Fällen sinnvoll sein kann.10

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Angesichts der widerstreitenden Auffassung von Befürwortern und Gegnern taktischen Faktor-Timings haben sich andere Forscher und Praktiker für einen Mittelweg ausgesprochen: demnach sollte man ein Timing von Faktoren nur in begrenztem Umfang und mit angemessener Vorsicht vornehmen.11 Dabei ist die Idee, anhand von Variablen wie Faktor-Bewertungen, kurzfristigem Faktor-Momentum und gesamtwirtschaftlichen Indikatoren die kurzfristigen Faktor-Renditen zu prognostizieren.

Basierend auf diesen Prognosen können Investoren in ihren Portfolios die Faktoren mit den besten Aussichten akzentuieren – zulasten weniger vielversprechender Faktoren. Dies wird mitunter als Faktor-Rotation bezeichnet, teilweise auch als Faktor-Tilting. Doch auch wenn dies attraktiv erscheinen mag, setzt es zwei Dinge voraus: eine ausreichende Prognosegenauigkeit zur Erzielung wesentlicher Mehrerträge und relativ geringe Umsetzungskosten, um den Aufwand zu rechtfertigen.

Leider ergibt sich aus der akademischen Literatur zu diesem Thema, dass das Timing von Faktoren für die meisten Anleger eine noch größere Herausforderung darstellt als traditionelles Markt-Timing, das bekanntlich bereits erhebliche Schwierigkeiten aufwirft.12 So steht außer Zweifel, dass die meisten empirischen Studien zu allgemeinem Markt-Timing den meisten Experten widersprechen, die es zu beherrschen behaupten.13

Im Fall von Faktorprämien wird die Komplexität des Problems dadurch erhöht, dass Faktorstrategien dynamisch sind und ein regelmäßiges Rebalancing der Portfolios stattfinden muss. Ein Lösungsansatz wäre die Verwendung gängiger Smart Beta-Produkte mit niedrigen Gebühren. Doch wie wir in früheren Artikeln dieser Serie gezeigt haben, sind solche Produkte meist alles andere als ideal und bergen zahlreiche Fallstricke.

Simulationen von Researchexperten von Robeco haben außerdem gezeigt, dass Anleger abgesehen von den technischen Herausforderungen des Faktor-Timings ziemlich genau prognostizieren müssen, welcher Faktor sich kurzfristig (zum Beispiel auf Sicht eines Monats oder Quartals) überdurchschnittlich entwickeln wird, um eine einfache gleichgewichtete Allokation in mehreren bewährten Faktoren zu schlagen.

So mussten Anleger in mehr als 50-60 % der Fälle den richtigen Faktor auswählen, um eine gleichgewichtete Mischung aus mehreren Faktoren zu übertreffen. Dabei hat unsere Analyse noch nicht die Gebühren berücksichtigt, die Anleger an ihren Assetmanager zahlen müssten, um ein so genaues Timing durchzuführen. Berücksichtigt man diese Gebühren, ist der Mehrwert des Faktor-Timings für den Endanleger erst recht zweifelhaft.14

Auch wenn Faktor-Timing attraktiv erscheinen mag, setzt es zwei Dinge voraus: eine ausreichende Prognosegenauigkeit zur Erzielung wesentlicher Mehrerträge und relativ geringe Umsetzungskosten, um den Aufwand zu rechtfertigen

Wie sollten sich Anleger diesbezüglich verhalten? (Sichtweise von Robeco)

Ein systematisches taktisches Timing von Faktoren muss aus den genannten Gründen mit einiger Vorsicht erfolgen. Die bessere Wahl ist häufig eine breite Diversifikation über unterschiedliche Faktoren oder die Konzentration auf einen bestimmten Faktor von strategischem Interesse. Dabei muss einem bewusst sein, dass einer oder mehrere Faktoren eine kurzfristige Underperformance aufweisen können (siehe Abbildung 1). Die Grafik zeigt die Wertentwicklung gängiger Faktoren über mehrere Jahrzehnte.

Abbildung 1: Faktor-Performance über mehrere Jahrzehnte

Abbildung 1: Faktor-Performance über mehrere Jahrzehnte

Quelle: Robeco, basierend auf der Datenbank von Kenneth French und Paradoxinvesting.com

Letztlich sind wir der Ansicht, dass geduldige Anleger, die nur wenige Umschichtungen vornehmen und an ihren Faktor-Exposures festhalten, auf lange Sicht mit größerer Wahrscheinlichkeit den Markt schlagen. sustainable investing ist eine Möglichkeit, das zu erreichen, da Anleger tendenziell von Strategien überzeugter sind, die ihre Werte widerspiegeln, auch wenn diese zeitweilig eine Underperformance aufweisen. Dessen ungeachtet ist die Verknüpfung von Factor Investing und Sustainable Investing nicht so einfach, wie es klingt. Der nächste Artikel aus dieser Serie befasst sich mit der Debatte darüber, welche Rolle Nachhaltigkeit bei der Wertpapierauswahl spielen sollte.