Natürlich lassen sich Verbindungen zu langfristigen Trends wie Wachstum und Alterung der Bevölkerung sowie der abnehmenden Biodiversität herstellen (wodurch die Menschen bislang unbekannten Viren ausgesetzt werden können1). Allerdings sind diese langfristigen Trends genau dieselben wie vor der Krise. Nichts Neues unter der Sonne, also. Wenn diese Krise etwas verändert, dann bestätigt sie die Tatsache, dass nachhaltige Entwicklung der einzig gangbare Weg ist. Und so ist unsere Antwort auf die Krise jetzt das Wichtigste.
Die aktuelle Situation mit weniger Luftverkehr und weniger Produktion zeigt uns, wie die Welt aussehen kann: Sauberes Wasser, blauer Himmel. Was das „S“ in ESG angeht, stellen wir fest, dass Solidarität ein wichtiger Faktor ist und dass Unternehmen sich sozial verhalten können. So ändern Unternehmen derzeit ihre Fertigungsanlagen, um Handreiniger oder Ventilatoren für Krankenhäuser zu produzieren. Einige stellen Vorleistungen für solche Produkte sogar kostenlos zur Verfügung. Geschäftlich betrachtet ist das unbedeutend, kann aber einen entscheidenden Unterschied für die Krankenhäuser machen, die davon profitieren.
Durch Zufall nachhaltig werden
Zu beobachten ist außerdem, dass nun auch Unternehmen rasch Maßnahmen ergreifen, die in der Vergangenheit damit gezögert haben. Dazu gehört die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer von zu Hause arbeiten, flexible Arbeitszeiten haben und sich über Telefonkonferenzen austauschen, anstatt Geschäftsreisen zu unternehmen. Zufälligerweise ist das alles gut im Hinblick auf Gleichheit, Diversität und Umwelt.
Handelt es sich um einen verkappten Segen? Nein. Zuallererst nicht aufgrund der tragischen Konsequenzen des Ausbruchs des Virus für die betroffenen Menschen. Und auch deshalb nicht, weil diese Krise und die damit verbundenen Abriegelungsmaßnahmen zu einem weitgehenden Stillstand der Wirtschaft und erheblichen Kursrückgängen an den Finanzmärkten geführt haben. Die langfristigen Auswirkungen des gegenwärtigen Stillstands werden erst im Nachhinein bekannt sein. Allerdings werden sie umso weitreichender sein, je länger die Situation anhält.
Auf jeden Fall wird die Fähigkeit der Unternehmen beeinträchtigt, langfristigen Mehrwert zu schaffen – nicht nur für die Aktionäre, sondern vor allem auch für die übrigen Stakeholder, einschließlich der Mitarbeiter und des gesellschaftlichen Umfelds, in dem die Unternehmen agieren. Im Investor Statement on Coronavirus Response2, das von 195 Investmenthäusern weltweit – einschließlich Robeco – unterzeichnet wurde, fordern wir die Unternehmen auf, bei Bedarf bezahlten Urlaub zu gewähren, der Gesundheit und Sicherheit oberste Priorität zu geben, die Beschäftigung und Beziehungen zu Zulieferern und Kunden aufrechtzuerhalten und sich in finanzieller Hinsicht vorsichtig zu verhalten.
Kapitaleinsatz und Vergütung
Die beiden aus ESG-Perspektive wichtigsten Aspekte, was finanzielle Vorsicht angeht, betreffen den Kapitaleinsatz und die Vergütung. Auch das sind keine neuen Themen für nachhaltig orientierte Anleger. In der derzeitigen Situation werden wir jedoch in jedem Einzelfall untersuchen, wie vorsichtig sich die Unternehmen verhalten, wenn es um die Zahlung von Dividenden und um Aktienrückkäufe geht.
Auch werden wir Vorschläge zur Vergütung von Board-Mitgliedern kritisch prüfen. Unser Proxy-Advisor Glass Lewis formuliert es wie folgt3 : „Für Unternehmen mit sehr hohen Vergütungen wird es eine Herausforderung sein, daran festzuhalten, während solche mit weniger großzügigen Strukturen gezwungen sind, entweder alles beim Alten zu lassen oder Änderungen vorzunehmen und sich dabei nur den Zorn der Aktionäre einhandeln.“ Uns sind bereits die ersten Unternehmen begegnet, die über die Aufstockung von Vergütungspaketen nachdenken, um die Anreize für Führungskräfte in diesem Jahr aufrechtzuerhalten. Wir werden uns mit solchen Verhaltensweisen sehr kritisch auseinandersetzen, insbesondere dort, wo die Arbeitnehmer mit Härten konfrontiert sind oder wo die Aktionäre weit niedrigere Erträge erwarten müssen.
Was die Mitarbeiter angeht, erwarten wir, dass die Reaktion der Unternehmen auf das Coronavirus ihrem allgemeinen Ansatz beim Umgang mit dem Personal entspricht. Im Investor Statement on Coronavirus Response vermerken wir, dass das Board of Directors für die langfristige Strategie beim Umgang mit der Belegschaft ihrer Unternehmen verantwortlich ist. Unternehmen mit gutem Humankapital-Management haben in ihrer Mitarbeiter investiert und werden unseres Erachtens bei Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit davon profitieren, wenn sie an einer gut ausgebildeten und motivierten Belegschaft festgehalten haben.
Einem Test unterzogen wird das Statement on the Purpose of a Corporation, das im August 2019 von 181 CEOs in den USA unterzeichnet wurde. Darin haben sich die CEOs dazu verpflichtet, ihre Unternehmen zum Vorteil sämtlicher Stakeholder zu führen – der Kunden, der Mitarbeiter, der Zulieferer, des gesellschaftlichen Umfelds und der Aktionäre. In der jetzigen Situation können sie zeigen, dass sie auch meinen, was sie sagen.
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Volkswirtschaften am Laufen halten
Im Hinblick auf die Finanzmärkte und die Gesamtwirtschaft ist zu beobachten, dass die Regierungen und Notenbanken alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Volkswirtschaften möglichst am Laufen zu halten. Der Umfang der geld- und fiskalpolitischen Reaktion ist beispiellos. Die Maßnahmen zielen darauf ab, die Folgen des weitgehenden Stillstands der Wirtschaft abzumildern. Beispielsweise umfasst das 2 Billionen Dollar schwere Gesetzespaket in den USA zur Abmilderung der Auswirkungen des Coronavirus Einmalzahlungen an die Bürger, verbesserte Leistungen der Arbeitslosenversicherung, zusätzliche Mittel für die Gesundheitsvorsorge und Zahlungen an Unternehmen zur Vermeidung von Entlassungen.
Auf längere Sicht jedoch sind wahrscheinlich noch mehr Anreize erforderlich, um die Erholung der Wirtschaft zu unterstützen. Wir glauben, dass dies eine Gelegenheit für die Regierungen darstellt, wirtschaftliche Anreize mit der sozialen und umweltbezogenen Entwicklung zu kombinieren. Das ist jetzt vor allem deshalb erforderlich, weil der gesunkene Ölpreis die Investitionen in Erneuerbare Energien beeinträchtigen könnte. Obwohl es in einigen Weltregionen bereits günstiger ist, Strom aus Wind und Sonnenlicht zu erzeugen, könnte der fallende Ölpreis zum verstärkten Einsatz von Kohle, Öl und Gas animieren. Dies würde sich negativ auf die zukünftige Entwicklung und die Nutzung umweltfreundlicher Energiequellen auswirken.
Anreize für „grüne“ Projekte
In den USA haben Experten für Klima und Sozialpolitik aus der Forschung und der Zivilgesellschaft einen Vorschlag für Anreize zum umweltfreundlichen Umbau der Wirtschaft entworfen4. Dieser verknüpft die soziale und die umweltbezogene Entwicklung miteinander. Einige der darin vorgestellten Ideen tragen zur Schaffung von Arbeitsplätzen beim Ausbau umweltfreundlicher Energien, der Herstellung von Nachrüstsätzen und im Bereich nachhaltigen Wohnungsbaus bei. Andere zielen auf die Schaffung lokaler Nahrungsmittelökonomien oder die Unterstützung der Wartung und des Betriebs des öffentlichen Transportwesens sowie die Bereiche Elektrogeräte und Fahrzeugbau ab. Die Ideengeber befürworten auch Bau und Management „grüner“ Infrastruktur, lokal gefertigte nachhaltige Textilien und Bekleidung sowie Partnerschaften mit bestehenden Ausbildungsprogrammen, die darauf abzielen, mehr Geringverdiener in gute Tätigkeiten mit gewerkschaftlicher Organisation zu vermitteln.
In Europa könnten Anreize für umweltfreundliche Investitionen zur Einhaltung der CO2-Ziele beitragen, auf die sich die europäischen Länder verpflichtet haben. In einem weiteren Schritt könnten der öffentliche und der private Sektor zusammenarbeiten, um zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele beizutragen. Für die Finanzierung entsprechender Investitionen könnte die Emission von Green Bonds und Social Bonds eine Möglichkeit darstellen. Green Bonds machen derzeit weniger als 0,1 % der gesamten staatlichen Verschuldung aus (Quelle: S&P Global). Demnach steht noch reichlich Spielraum zur Finanzierung sozialer und umweltbezogener Anreizmaßnahmen!
Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Ich hoffe, dass Sie alle gesund bleiben und dass wir nach dem Ende der Krise eine Antwort darauf geben, die zur Schaffung wirklich nachhaltiger Gesellschaften und Volkswirtschaften beiträgt.